Venezuelas fragile Konterrevolution

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VENEZUELA-ELECTION-AFTERMATH-OPPOSITION(c) APA/AFP/JUAN BARRETO (JUAN BARRETO)
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Nach der historischen Niederlage der seit mehr als einem Jahrzehnt regierenden linken Chavistas bleibt die Zukunft ungewiss: Die Opposition ist gespalten, die Wirtschaft am Boden.

Caracas/Buenos Aires. Die heftige Niederlage der linken Chavistas bei der Parlamentswahl in Venezuela am Sonntag hinterlässt nur eine Sicherheit: Wie bisher kann es nicht weitergehen. Doch diese Erkenntnis birgt vor allem Ungewissheit.

Da ist zunächst die Frage nach dem Wahlresultat. Auch am zweiten Tag nach dem Urnengang sind noch nicht alle 167Sitze der Nationalversammlung zugeordnet. Am Montagabend publizierte die Wahlbehörde CNE, dass die Opposition 107 Sitze errungen habe, die Regierung nur 55. Aber fünf Wahlkreise waren auch da noch nicht ausgezählt. Drei sind inidigene Stimmbezirke, welche die Opposition in ihr Universum einreiht. Bleiben zwei Voten. Aber diese zählen doppelt – denn 112 Sitze bedeuten eine Zweidrittelmehrheit und damit deutlich mehr Macht.

Zwei Drittel der Parlamentarier können die Wahlbehörde neu besetzen, Mitglieder des Höchstgerichtes abziehen oder ernennen. Sie können Sondervollmachten des Präsidenten kassieren, Volksabstimmungen über das Schicksal des Präsidenten und dessen Vize einberufen. Und sie können internationale Verträge kassieren. Sollte die Opposition tatsächlich jene 112 Sitze errungen haben, die sie am Wahlabend beanspruchte, könnte sie mehrere tragende Pfeiler des von Ineffizienz, Inkompetenz und Korruption zerfressenen chavistischen Staatswesens einreißen.

Ob das eine wünschenswerte Vorstellung ist? Im Prinzip ja, denn die Regierung des chavistischen Präsidenten, Nicolás Maduro, hat – auch getrieben durch den massiven Verfall des Ölpreises – alle Exzesse verschlimmert, die schon zu Lebzeiten von Ex-Präsident Hugo Chávez begonnen wurden: Inflation, Versorgungsmangel, Unsicherheit und einen zunehmenden Verfall der Grundrechte.

Drogengeschäfte der Militärs

Doch wird eine Partei, die nach 17-jähriger Regierung den gesamten Staat dominiert – Justiz, Wirtschaft, Sicherheit, Militär und Medien –, diese Macht wirklich aus der Hand geben? Hugo Chávez hatte fanatische junge Anhänger zu Revolutionsmilizen geformt und diese auch noch bewaffnet. Inzwischen sind diese Trupps zu unkontrollierbaren Verbrechergangs geworden, einsetzbar für die politische Schmutzarbeit. Und wie wird sich eine Armee verhalten, deren Spitzen verdächtigt werden, den internationalen Drogenhandel via Venezuela zu organisieren? Die US-Drogenbehörde DEA beschuldigte mehrere Generäle und Diosdado Cabello, den Führer des Militärflügels des Chavismo, das Milliardengeschäft zu managen.

Was soll zudem aus Maduro werden, dem nun das eigene Lager die Hauptschuld am Versagen gibt? Schon erscheinen erste Rücktrittsforderungen im chavistischen Onlineportal aporrea.org.

Und: Wie geschlossen ist überhaupt das Oppositionsbündnis? Der „Tisch der demokratischen Einheit“ schließt mehr als 20 Parteien ein, von Chávez-flüchtigen Sozialisten bis zu ultrakonservativen Katholiken. Der einzige gemeinsame Nenner war der Überlebenskampf gegen das Regime. Doch schon die Methoden waren strittig. Als voriges Jahr die Fraktion um Leopoldo López beschloss, den Widerstand auf die Straßen zu tragen, zog sich der zweimalige Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles zurück. Als am Montag das MUD-Bündnis ihren Triumph vor der Presse darlegen wollte, hielt der Führer von Primero Justicia seine eigene Sitzung ab. Capriles, der stets für einen Marsch durch die Institutionen geworben hatte, reklamiert – nicht zu Unrecht – den Wahltriumph für sich. Zudem kündigte die Opposition als ersten Beschluss nach der Öffnung des neuen Parlamentes am 5. Jänner eine Amnestie aller politischen Gefangenen an. Damit käme López nach bald zwei Jahren in Einzelhaft frei. Werden er und Capriles ihre Egos im Zaum halten können?

Kommen Militärs ins Spiel?

Und was soll aus der ruinierten Wirtschaft werden? Just zum Wahltermin sank der Ölpreis auf einen historischen Tiefstand. 35 Dollar bekommt Venezuela noch für jedes verkaufte Barrel seines schweren Rohöls. Damit der Staat halbwegs stottern kann, müsste ein Fass 88Dollar bringen. Maduro ließ Goldreserven verkaufen, um irgendwie zum Wahltag zu kommen. Doch nun ist das Tor zum Totalabsturz offen. Kann Maduro überhaupt noch steuern? Wird ihm die Opposition helfen? Oder kommen am Ende doch die Militärs ins Spiel? Venezuela, formell die älteste Demokratie Lateinamerikas, hat eine lange Geschichte von Militärputschen: Den letzten, 1992, führte ein gewisser Hugo Chávez.

AUF EINEN BLICK

Erstmals seit 16 Jahren hat die konservative Opposition in Venezuela in einer Parlamentswahl wieder eine Mehrheit errungen. Sie schuf sich damit eine gute Ausgangslage, die Politik des sozialistischen Präsidenten, Nicolás Maduro, zu torpedieren. Maduro ist Nachfolger des 2013 verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez, einer Galionsfigur der lateinamerikanischen Linken. Für die linke Bewegung Südamerikas ist der Sieg der Konservativen nach dem Rechtsruck in Argentinien der zweite Dämpfer binnen weniger Wochen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2015)

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