Die Sozialisten verzichten zähneknirschend auf Kandidaturen, um einen Sieg des FN zu verhindern.
Paris. Auch zwei Tage nach dem Triumph des rechtsextremen Front National (FN) bei den Regionalwahlen in Frankreich befinden sich die Großparteien im Schockzustand. Doch weder die sozialistische Regierungspartei noch die konservative Opposition ist bereit, die Schuld in den eigenen Reihen zu suchen.
Trotzdem haben sich die Sozialisten zu einem schwierigen Schritt entschlossen: Premier Manuel Valls rief die Wähler dreier Regionen in einem dramatischen TV-Appell dazu auf, bei der Stichwahl am kommenden Sonntag für die gegnerischen bürgerlichen Listen zu stimmen. Damit soll in letzter Minute noch verhindert werden, dass der FN diese großen Regionen unter seine Kontrolle bringt. „Die Demokratie und die Grundwerte der Republik stehen auf dem Spiel“, sagte er. Valls hat damit die schmerzlichste Lösung für seine Partei gewählt.
Nach dem Appell verzichten nun die Sozialisten in den Regionen Nord-Pas-de-Calais-Picardie, Provence-Alpes-Côte-d'Azur und Elsass-Lothringen-Champagne-Ardenne auf ihre Kandidatur. Sie lagen ohnehin chancenlos an dritter Stelle. Der Verzicht bedeutet aber auch automatisch, dass die Sozialisten in diesen Regionen für die kommenden sechs Jahre nicht mehr in den Regionalräten vertreten sein werden. Über die Entscheidung konnte Marine Le Pen, die zunehmend selbstsichere FN-Chefin, nur lachen. Sie verglich dieses Opfer spöttisch mit dem „kollektiven Suizid der Sektenanhänger des Sonnentempelordens“. Allerdings hofft Le Pen insgeheim, dass der politische Schulterschluss gegen rechts an der traditionellen Feindschaft zwischen den etablierten politischen Blöcken scheitern wird.
Wahlschlappe für Nicolas Sarkozy
Tatsächlich sind weder Sozialisten noch die konservative Rechte begeistert von der Idee einer Einheitsfront gegen die rechtsextremen Frontisten. Am lautstärksten wehrt sich Nicolas Sarkozy, Chef der konservativen Les Républicains: Er lehnt das sozialistische Angebot einer gemeinsamen „republikanischen Front“ ab. Und betont: „Jetzt ist mehr denn je Klarheit erforderlich, alles, was nach Klüngelei der Parteizentralen aussehen könne, muss vermieden werden.“
Sarkozy möchte den Wahlsieg in mehreren Regionen nicht seinen linken Gegnern verdanken – wie 2002 sein Vorgänger Jacques Chirac, der bei den Präsidentschaftswahlen von 2002 gegen Marines Vater, Jean-Marie Le Pen, dank der Stimmen von links wiedergewählt und dadurch nachhaltig geschwächt worden ist.
Sarkozys Taktik und der Stil seiner Wahlkampagne sind intern aber nicht unumstritten. Die Konservativen, die eigentlich mit einem Wahltriumph gerechnet haben, sind über das Ergebnis tief enttäuscht: Offenbar hat der FN auch auf Kosten ihrer rechten Wählerschaft massiv zugelegt – kein gutes Vorzeichen für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2017, bei der Sarkozy wieder an die Macht kommen wollte.
Mit großem Abstand stärkste Kraft
Der FN liegt nach der Wahl am Sonntag in sechs der 13 Regionen an der Spitze, oft mit einem deutlichen Abstand vor den Listen der bürgerlichen Rechten und der Sozialisten. In ihrer nordfranzösischen Hochburg, Nord-Pas-de-Calais-Picardie, hat Parteichefin Marine Le Pen auf Anhieb 40,64 Prozent der Stimmen erhalten, ihre Nichte Marion Maréchal-LePen im Süden (Provence-Alpes-Côte-d'Azur) 40,55 Prozent. Auch im Nordosten (Alsace-Lorraine-Champagne-Ardenne) liegt der FN mit mehr als 36 Prozent deutlich vorn. Sogar im traditionell roten Südwesten (Languedoc-Roussillon-Midi-Pyrénées) liegt der FN in Führung. Der Terrorismus und die Flüchtlingsfrage haben bei dem Siegeszug bestimmt eine Rolle gespielt.
Nicht zufällig hat der FN beispielsweise in Calais den früheren Wähleranteil verdreifacht und 50 Prozent erreicht. In dieser Stadt am Ärmelkanal befinden sich seit Jahren illegal errichtete Camps mit steigenden Flüchtlingszahlen. Andererseits erklären Wähler in TV-Auftritten, sie hätten dieses Mal auf die FN gesetzt, weil sie von den anderen Parteien enttäuscht seien. Mit dem FN wollten sie eine wirkliche Änderung.
AUF EINEN BLICK
Der rechtsradikale Front National von Marine Le Pen wurde im ersten Wahlgang am Sonntag mit 27,7 Prozent stärkste Kraft in Frankreich. In sechs der 13 französischen Regionen landete die Partei an erster Stelle. Das konservativ-bürgerliche Lager um den früheren Staatschef Nicolas Sarkozy kam mit 26,7 Prozent auf den zweiten Platz, die regierenden Sozialisten von Präsident François Hollande waren mit 23,1 Prozent weit abgeschlagen auf Platz drei zu finden. Am Sonntag wird die zweite Wahlrunde über die Bühne gehen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2015)