Russland: Der Aufstand der russischen Trucker

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Fernfahrer protestieren gegen ein neues Mautsystem, das ihr Geschäft beeinträchtigt. Die Staatsführung ignorierte bisher ihre Forderungen - und will nun den Protest spalten.

St. Petersburg/Wien. Vergangene Woche, als Wladimir Putin seine alljährliche Rede vor dem Föderationsrat hielt, wartete Alexander Rastorguew vergeblich auf eine Erwähnung. Viele Fernfahrer verfolgten an diesem Tag die Ansprache des Präsidenten am Bildschirm in ihrer Fahrerkabine, die den Truckern als fahrbare Behausung dient. Die Rede, eine Tour d'Horizon der wichtigsten innen- und außenpolitischen Themen, war eine einzige Enttäuschung, erinnert sich Rastorguew im Gespräch mit der „Presse“. Putin erwähnte den Protest, den Trucker wie Rastorguew in vielen Regionen Russlands organisieren, mit keinem Wort. „Man ignoriert uns“, sagt der Koordinator der Proteste in Sankt Petersburg. „Für die da oben existieren wir nicht.“

Anlass für die bereits seit einigen Wochen andauernden Proteste der Fernfahrer ist eine Maut, die seit Mitte November eingehoben wird. Das neue Mautsystem heißt Platon und gilt für Schwertransporter ab zwölf Tonnen. Überprüft wird die Fahrdauer mittels elektronischer Geräte; bei Nichteinhaltung drohen hohe Strafen. Die Abgabe soll der Straßenbehörde Einnahmen zur Reparatur des maroden Fernstraßennetzes bringen. In zwei Wochen haben die Behörden bereits 550 Millionen Rubel, 7,2 Millionen Euro, eingenommen. Aufs Jahr gerechnet brächte das Einkünfte von mehr als 750 Millionen Euro.

War ursprünglich eine Einhebung von 3,73 Rubel pro Kilometer geplant, wurde die Kilometermaut später auf 1,53 Rubel (zwei Euro-Cent) gesenkt. Ab März soll sie allerdings wieder angehoben werden. Viele Lkw-Fahrer sehen sich in ihrer ökonomischen Existenz bedroht: Ihre Fuhren, mit denen sie oft tausende Kilometer quer durch Russland unterwegs sind, seien bei Zahlung der Maut nicht mehr rentabel, sagen sie. Viele Lkw-Fahrer sind Einzelunternehmer; sie, nicht große Transportunternehmen, sind von der Abgabe am stärksten betroffen. Aber auch Einzelhandelsketten warnten bereits vor möglichen Preissteigerungen für die Konsumenten.

Die Fernfahrer, normalerweise Einzelkämpfer, griffen zu kollektiven Protestformen: Sie drohten mit einer Sternfahrt aus allen Ecken des Landes auf Moskau und blockierten dort kurzzeitig zentrale Verkehrswege. Auch in Sankt Petersburg findet am heutigen Freitag abermals eine Protestaktion statt: Die Lkw-Fahrer rund um Rastorguew haben zu einer gemächlichen „Schneckenfahrt“ mit eingeschalteter Warnblinkanlage aufgerufen, um Aufmerksamkeit zu erregen.

Um Aufmerksamkeit kämpfen die Aktivisten: Obwohl sich die Proteste mittlerweile vor allem in den sozialen Medien herumgesprochen haben, ignorieren die Staatsmedien das Phänomen weitgehend. Premierminister Dmitrij Medwedjew äußerte sich am Mittwoch erstmals über die Protestierenden. „Alle soliden Fuhrunternehmen“ hätten sich schon bei Platon angemeldet, sagte er und sprach von 700.000 Registrierten. Russlandweit schätzt man die Zahl der Fernfahrer auf zwei Millionen.

Enttäuscht vom Präsidenten

Medwedjews Strategie, die Lkw-Fahrer in „gute“ und „böse“ zu teilen, gehört offenbar zur Strategie der Führung. „Die Behörden machen teilweise Konzessionen durch die zeitweilige Herabsetzung der Maut und das Aussetzen von Strafen, um den Protest von innen zu schwächen“, sagte der Analyst Alexej Makarkin zur Website Russia behind the headlines. Sollte die Maut in Zukunft auf andere Verkehrsteilnehmer ausgedehnt werden, wäre ein schnelles Ersticken der Protestbewegung aus Sicht der Behörden zweifelsohne erstrebenswert.

Umstritten ist Platon auch deshalb, weil hinter dem System eine Firma steht, die zur Hälfte Igor Rotenberg gehört, dem Sohn des Putin-Vertrauten Arkadij Rotenberg, der in den vergangenen Jahren zu großem Reichtum gekommen ist. Der Protest berührt ein wiederkehrendes, kontroverses Thema in Russland: die Bereicherung der Elite auf Kosten anderer. Wie viele andere ist Rastorguew enttäuscht vom Staatschef. „Die Menschen, die für ihn gestimmt haben, würden das jetzt nicht mehr tun“, glaubt er.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2015)

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