Deutschland: Genossen führen SPD-Parteichef vor

Leader of the Social Democratic Party Gabriel attends the SPD party congress in Berlin
Leader of the Social Democratic Party Gabriel attends the SPD party congress in Berlin(c) REUTERS (FABRIZIO BENSCH)
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Sigmar Gabriel wird von nur 74,3 Prozent der SPD-Mitglieder zum neuen alten Parteichef gewählt. Ein miserables Ergebnis für den Vorsitzenden.

Berlin. „Kommt, setzt euch hin, es ist jetzt gut“, sagt Sigmar Gabriel, wohl nicht ganz ohne Stolz. Der Applaus für den Parteichef der deutschen Sozialdemokraten hält lange an. 105 Minuten hat die Grundsatzrede des Vizekanzlers gedauert. 26Seiten umfasste sein Manuskript.

Gabriel steht wenige Stunden vor seiner Wiederwahl zum Vorsitzenden der SPD. Als deren einziger Kandidat. Doch die positive Stimmung vom Vormittag täuscht. Denn für Gabriel wird die Niederlage eine bittere sein, die Enttäuschung lächelt er hinterher weg. Lediglich 74,3 Prozent der Delegierten sprechen Gabriel auf dem Bundesparteitag ihr Vertrauen aus. Ein miserables Ergebnis. Vor zwei Jahren waren es noch knapp 84 Prozent.

Die Genossen fänden ihn wohl nicht links genug, aber nun sei eben entschieden, wo es langgeht, sagte Gabriel im Anschluss. Die Wahl zum neuen alten Parteichef nimmt er an, „so machen wir es auch“.

Das Arbeiterkind Sigmar Gabriel zählt nicht gerade zu den beliebtesten Politikern des Landes. Sein sozialdemokratischer Kollege, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, liegt in Umfragen stets weit voran. Die Genossen trauen ihm eher zu, den nächsten SPD-Kanzlerkandidaten zu stellen. Doch Steinmeier hatte seine Chance bereits. Er stieg 2009 ins Rennen und scheiterte kläglich. Die Regierungsverantwortung musste die Partei fortan anderen überlassen. Man ging in Opposition, und Gabriel übernahm das Ruder.

Am längsten SPD-Chef seit Willy Brandt

Der 56-Jährige schaffte etwas, was anderen vor ihm nicht gelang: Nach Willy Brandt konnte sich keiner mehr so lange an der Parteispitze der SPD halten. Weder Gerhard Schröder, noch Franz Müntefering, und auch die vielen anderen nicht.

Aber: Angela Merkel kann Gabriel auf der Bühne der Weltpolitik kaum das Wasser reichen, auch innenpolitisch ist sie schwer zu besiegen. Selbst jetzt in der Flüchtlingskrise, in der sie als angeschlagen gilt. Den undankbaren Job des Herausforderers muss in der SPD trotzdem jemand übernehmen. Und das wird wohl Gabriel sein. Natürlich wolle man in Deutschland wieder regieren, sagt Gabriel gestern. „Vom Kanzleramt aus. Von wo denn sonst?“

Gabriels Bilanz in der Regierung ist durchaus passabel. Doch in der Zwischenzeit machen auch die Konservativen sozialdemokratische Politik. Linke Forderungen wie jene nach dem Mindestlohn, der Frauenquote oder einer Mietpreisbremse trugen die Unionsparteien mit. Erfolge, die die Sozialdemokraten trotzdem nicht für sich verbuchen konnten. In Umfragen liegen sie seit Monaten auf dem immer gleichen 25-Prozent-Niveau.

Mit Justizminister Heiko Maas hat die Partei zwar einen neuen Shootingstar aus dem Hut gezaubert, der parteiübergreifend geschätzt wird. Verheizen wird man ihn für die nächste Wahl aber wohl nicht. Was nach 2017 kommt, wird man erst sehen.

Lehrer, Turniertänzer: Gabriel war früher beides. Inzwischen kann er durchaus staatstragend agieren. Rhetorisch ist er der Kanzlerin überlegen. Er kann frei reden, muss nicht alles vom Papier ablesen. Und dennoch verschreckt er viele mit seiner oft unberechenbaren Art. Einen offenen Schlagabtausch mit einer bekannten deutschen TV-Moderatorin fanden einige nicht gut. „Manchmal frage ich mich hinterher, ob ich nicht eine bessere Wortwahl hätte treffen sollen“, sagt Gabriel heute ganz offen.

Politisch werfen ihm Kritiker einen Zickzackkurs vor. Nicht nah genug beim Volk sei er obendrein. Gespür bewies Gabriel zwar, das manchmal durchaus fragwürdig war. Er fuhr noch vor der Kanzlerin nach Heidenau, wo Flüchtlinge von einem rechten Mob angegriffen worden waren. Übel nahmen ihm die Genossen indes das Treffen mit Anhängern der Pegida-Bewegung, die er später als in Teilen rechtsradikal bezeichnete.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2015)

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