Frankreichs Dilemma im Umgang mit dem Front National

Wahlen in Frankreich Stimmabgabe Marion Marechal Le Pen 2 Runde der Regionalwahlen in Frankreich
Wahlen in Frankreich Stimmabgabe Marion Marechal Le Pen 2 Runde der Regionalwahlen in Frankreich(c) imago/PanoramiC (imago stock&people)
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Für den Sieg reichte es nicht. Doch nie erhielt die extreme Rechte so viele Stimmen.

Paris. Die offizielle Erleichterung ist bloß gespielt. Der Front National (FN) hat in der zweiten Runde der französischen Regionalwahlen zwar nicht gesiegt, aber gewonnen ist deswegen für alle anderen Parteien der Kampf gegen die stetige Zunahme der rechtsextremen Wählerschaft noch gar nichts. Im Gegenteil: Noch nie haben so viele Franzosen und Französinnen einen FN-Wahlzettel eingelegt.

Im zweiten Durchgang der Regionalwahl waren es fast sieben Millionen Wahlberechtigte. Die Tatsache, dass ihre Zahl vom ersten zum zweiten Wahlgang noch weiter zugenommen hat, beweist zudem, dass diese Bürger nicht einfach einen möglichst folgenlosen Protest loswerden wollten – wie vielleicht noch in früheren Jahren.

Indem sie noch zahlreicher auch in den Stichwahlen die Listen des FN unterstützt haben, wollten sie diese Partei mit ihrem Programm wirklich an die Macht bringen. Über die Folgen, die das für Frankreich und sogar für ihr eigenes Leben haben müsste, sind sich wahrscheinlich viele von ihnen nicht im Klaren. Ihr vielfach bei diesen Wahlen zitierter Wunsch ist es, dass sich endlich etwas ändere.

Lange wollte sich die Linke wie auch die bürgerliche Rechte einreden, ein solches Wahlverhalten müsse doch wohl ein Missverständnis seitens ihrer früheren Anhänger sein, die zwar aus Enttäuschung und Verärgerung zur extremen Rechten abwanderten, aber doch nicht deren radikale Gesinnung unterstützen wollten. Spätestens seit den Wahlen der letzten zwei Jahre müssen sie sich eingestehen, dass die meisten FN-Wähler ihnen nicht bloß „Denkzettel“ wie eine gebührenfreie Verwarnung austeilen, sondern mit dem FN frontal gegen das politische System mit seinen Konventionen stimmen wollen. Niemand in Frankreich kann behaupten, nicht zu wissen, was diese Partei anstrebt.

Kein bisschen soft

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Als Marine Le Pen 2011 die Parteiführung übernahm und sich danach sukzessive von allzu groben rassistischen und antisemitischen Äußerungen ihres Vaters, Jean-Marie Le Pen, distanzierte, glaubte man, sie wolle mit einer weniger radikalen Soft-Variante im Auftreten die geächtete Partei salonfähig machen, um so auch als Koalitionspartner akzeptabel zu werden. Das war ein Irrtum. Der FN hat nur Zulauf in der vermeintlichen Rolle von David gegen Goliath: Einer gegen alle, alle gegen einen. Für viele Wähler bleibt der FN die einzige Partei, die noch nie an der Regierungsmacht war und darum nicht mitschuldig am tristen Zustand der Nation sein könne. Der FN hat in dieser Position kaum Anlass, sich weniger extrem zu geben.

Marine Le Pen und ihre Kandidaten haben sich im Zuge des Wahlkampfes sogar erneut radikalisiert. Die FN-Chefin hat sich das herrschende Klima der Terrorangst und der Furcht vor weiteren Flüchtlingswellen aus dem Nahen Osten zu Nutze gemacht und dabei vor allem die Ressentiments gegen den Islam instrumentalisiert. Sie versteht sich als Wortführerin der Rechtspopulisten in Europa.

Ratlose Taktiker

Schon zur Zeit von François Mitterrand in den Achtzigerjahren haben die französischen Sozialisten den drohenden Vormarsch der extremen Rechte als Schreckgespenst eingesetzt. Damit konnten sie ihre antifaschistischen Wähler mobilisieren. Weil aber der FN dennoch erstarkte, gelang es ihnen bis vor Kurzem, dank der Konkurrenz von ganz rechts, häufig in Dreieckswahlen die bürgerliche Rechte zu schlagen, obwohl die Leistungsbilanz der Sozialisten ihre Basis enttäuscht und dem FN zusätzlich Argumente geliefert hat. Diese Taktik, auf die Spaltung der Rechten durch den FN zu setzen, geht heute nicht mehr auf. Umgekehrt steht auch die Partei von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy vor einem Dilemma: Da eine Allianz mit der vom Rassisten Le Pen gegründeten Partei bis auf Weiteres unmöglich ist, bleiben nur der Kampf an der Seite der linken FN-Gegner oder der Versuch, mit einem Rechtsrutsch den Extremisten Wähler abspenstig zu machen.

Sarkozy setzt auf die zweite Variante. Angesichts des nur halb befriedigenden Resultats ist sein Kurs umstrittener denn je. Seine Stellvertreterin Nathalie Kosciusko-Morizet kritisierte, dass Sarkozy jede Kooperation mit den Sozialisten ausgeschlossen hatte. Sie wurde gefeuert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2015)

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