Kanzlerin Angela Merkel stellt sich auf dem Parteitag der CDU ihren Kritikern. Ihre Rede überrascht die Delegierten, der Aufstand ist abgeblasen.
Karlsruhe/Berlin. Die Anspannung war ihr förmlich anzusehen. Die Erleichterung auch. Montag, kurz vor 12 Uhr, setzt Angela Merkel zu ihrer Rede an. Es ist eine der wichtigsten in ihrer Karriere. In der nächsten Stunde wird die Parteivorsitzende die Delegierten der CDU auf ihre Seite ziehen müssen. Denn diese sitzen ihr seit Monaten wegen der Flüchtlingspolitik im Nacken.
Der Parteitag in der Messe Karlsruhe wird zum Showdown für die CDU-Vorsitzende. Begrenzung, Reduzierung, Obergrenze, das sind die Worte, um die sich in der Union derzeit alles dreht. Am Ende ihrer Ausführungen wird Merkel die vielen ernsten Mienen überzeugt haben. Die CDU-Mitglieder applaudieren stehend und hören gar nicht mehr auf – fast zehn Minuten lang. Selbst die Kommentatoren zeigen sich von so viel Euphorie überrascht. Ihre Interviewpartner verstehen sie kaum, so laut ist es im Saal.
Merkels Rede ist ein Abriss der Vergangenheit und der Gegenwart und erlaubt auch einen Blick in die Zukunft. „2015 ist ein unglaubliches Jahr“, sagt die Kanzlerin. „Und letztlich ist es schwer zu fassen.“ Die Parteivorsitzende listet „eine Abfolge von Ereignissen auf, in der jedes für sich selbst schwer wiegt“: die Anschläge auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“, Verhandlungen über Krieg und Frieden in Minsk, der Absturz der Germanwings-Maschine, die Anschläge von Paris und die alles überlagernde Flüchtlingskrise, die sie als „historische Bewährungsprobe“ für Europa“ bezeichnet.
Die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU funktioniert noch nicht. Die Hauptlast tragen nach wie vor einige wenige Staaten. „Was was wir in Europa machen, ist unendlich mühsam“, sagt die CDU-Vorsitzende. Und manchmal sei es auch zum Verrücktwerden. Doch am Ende habe die EU die Prüfungen immer bestanden.
Dann spricht Merkel über sich selbst – und ihren geschichtsträchtigen Satz „Wir schaffen das“. Vor den Hauptstadtjournalisten in Berlin hatte sie diese drei Worte verkündet. Daraus sei eine spannende Diskussion entstanden, wie Merkel es formuliert. „Wie ich das sagen kann?“, fragt Merkel in den Raum, um sich die Antwort selbst zu geben. „Ich kann das sagen, weil es zur Identität unseres Landes gehört, Größtes zu leisten.“ Aus den Trümmern habe man ein Wirtschaftswunder gemacht, aus einem geteilten Land eines in Freiheit.
Schließlich stellt sie sich in eine Reihe mit historischen Größen und zitiert deren bekannteste Aussprüche. Sie spannt den Bogen von Konrad Adenauer („Wir wählen die Freiheit“ ) über Ludwig Erhard („Wohlstand für alle“) bis hin zu Helmut Kohl („blühende Landschaften“). Die Bundesrepublik habe in der Vergangenheit schon viel bewerkstelligt. „Würden wir zweifeln, dass wir das schaffen, dann wären wir nicht die CDU. Aber „wir sind sie“, und deswegen werde man es schaffen.
Seit Jahresbeginn sind rund eine Million Flüchtlinge in Deutschland angekommen. Seit August war der Zustrom besonders stark. Statt sich abzuschotten, müsse man nun mit Mut an die Sache herangehen. Wenn man es richtig mache, so appelliert Merkel, dann seien die Chancen größer als die Risken.
Spürbare Reduzierung
Doch auch die Kanzlerin hat inzwischen eingesehen, dass eine nachhaltige und dauerhafte Lösung in der Flüchtlingskrise benötigt wird. Erst am Vorabend hatte die CDU-Parteispitze einen Kompromiss erzielt, mit dem sich auch die Kritiker zufriedengeben dürften. Im fast einstimmig beschlossenen Antrag H des Bundesvorstandes wurden zwei entscheidende Sätze festgehalten. Erstens: Man zeigt sich entschlossen, den Zuzug von Asylwerbern und Flüchtlingen durch wirksame Maßnahmen spürbar zu verringern. Zweitens: Ein Andauern des aktuellen Zuzugs würde auch ein Land wie Deutschland überfordern. Die von vielen geforderte Obergrenze gibt es somit nicht, dafür eine klare Aussage zur Reduzierung der Asylwerber.
Konkrete Maßnahmen hat die Regierung bereits in den vergangenen Wochen auf den Weg gebracht. Gleich zwei Asylpakete wurden aus dem Boden gestampft. Eines wartet bisher vergeblich darauf, abgesegnet zu werden. Der Koalitionspartner SPD legt sich in einigen Punkten noch quer.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2015)