„Wer Israel erhalten will, muss den Palästinensern eine Chance geben“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Israels Ex-Verteidigungsminister Amir Peretz (Arbeitspartei) fordert einen Siedlungsbaustopp und schließt eine Kooperation mit dem Iran gegen den IS nicht aus.

Die Presse: Vizekanzler Mitterlehner sagte die Reise nach Israel ab, da der israelische Wissenschaftsminister darauf bestand, ihn in Ostjerusalem zu empfangen, dessen Annexion völkerrechtlich nicht anerkannt ist. Warum konnte das Treffen nicht einfach in Westjerusalem stattfinden?

Amir Peretz: Das war nicht smart. Es ist doch wichtig für Israel, sich als wissenschaftliche Start-up-Nation zu präsentieren.

Ist dieser Vorfall ein Zeichen, dass sich die Positionen mancher israelischer Politiker verhärten und ideologischer werden?

Ich sehe mich auch als einen ideologischen Zionisten. Aber wer den jüdischen Staat und gleichzeitig dessen Demokratie erhalten will, muss den Palästinensern die Chance geben, einen unabhängigen Staat zu errichten. Die Zeit arbeitet auf der ganzen Welt gegen die Moderaten. Israel muss die Krise in Nahost nützen, um sich mit muslimischen Moderaten gegen Extremisten zu vereinen.

Laut einer Umfrage glauben angesichts der Ausweitung jüdischer Siedlungen nur mehr 35 Prozent der Palästinenser an eine Zweistaatenlösung? Glauben Sie daran?

Absolut. Ich kenne keinen, der eine bessere Idee hat. Es ist noch immer möglich. Israels rechtsgerichtete Politiker liegen falsch.

Aber die Rechte hat die Mehrheit.

Die Mehrheit der Leute hat Angst vor Gewalt. Aber Politiker müssen in die Zukunft schauen und Krisen nicht bloß managen, sondern Lösungen finden. Vielleicht gibt es momentan keine Führer, die mutig genug für eine Zweistaatenlösung sind. Doch das ändert nichts. Die Lage wird immer schlimmer.

Israel hat es mit einer Serie von Messerattentaten zu tun. Warum hat diese neue Intifada begonnen?

Das ist keine Intifada. Es gibt mehrere Gründe für die Gewalt: die Lebenssituation der Palästinenser, aber auch ihre Aufhetzung. Israel versucht derzeit, die Präsenz der Sicherheitskräfte zu verstärken, um so Einzeltäter abzuhalten.

Nicht einmal US-Außenminister Kerry konnte Palästinenser und Israelis an einen Tisch bringen. Wie wollen Sie den Verhandlungsprozess in Gang bringen?

Ich habe Anfang Dezember einen Trennungsplan vorgelegt. Ein Abkommen mit den Palästinensern muss auf den Grenzen von 1967 basieren, aber es muss natürlich auch ein Gebietsaustausch möglich sein. 570.000 Israelis leben heute jenseits der grünen Linie, einschließlich 200.000 in Jerusalem. Mein Plan sieht vor, dass fünf Prozent des palästinensischen Territoriums zu Israel kommen. Israel gibt im Gegenzug eine gleich große Fläche her. 85 Prozent der Siedler kommen im Zuge des Gebietstauschs zu Israel. Es bleiben 80.000 Siedler, die ausgesiedelt und entschädigt werden müssen. Je mehr Zeit vergeht, desto größer wird ihre Zahl. Daher trete ich für einen Siedlungsbaustopp ein.

Die Terrormiliz IS begann angeblich, Palästinenser nicht nur im Westjordanland, sondern auch im israelischen Kernland zu rekrutieren. Welche Folgen hätte ein Anschlag, ausgeführt von einem arabischen Israeli, auf das Zusammenleben?

Ich betrachte die arabischen Bürger Israels als Brücke zur arabischen Welt. Als jüdische Mehrheit ist es unsere moralische Pflicht, die Rechte der arabischen Minderheit zu achten. Das ist eine Top-Priorität. Vergessen Sie nicht: Auch Juden bilden überall auf der Welt Minderheiten. Ja, es könnten Terrorzellen in der arabischen Minderheit gefunden werden. Aber auch unter jüdischen Gruppen gibt es Terrorzellen. Terror ist Terror.

Sie waren 2006 und 2007 Verteidigungsminister. War Israel damals sicherer?

Als ich Verteidigungsminister war, waren die syrischen Chemiewaffen ganz oben auf meiner Agenda. Denn sie wurden auch zur Hisbollah transferiert. Die USA und Russland haben die syrische Regierung dazu veranlasst, ihre Chemiewaffen zu verschrotten. Eine Militäroperation hätte nicht dieselben Resultate erbracht. Anderseits haben der Zerfall des Irak und Syriens Israel nicht mehr Sicherheit gebracht. Die ganze Welt sollte sich gegen den IS verbünden.

Würden Sie im Kampf gegen den IS auch mit dem Iran kooperieren?

In manchen Fällen schaffen gemeinsame Feinde gemeinsame Interessen. Aber wir können die Tatsache nicht ignorieren, dass der Iran weiterhin die Hisbollah und die Hamas unterstützt. Der Iran stellt für Israel noch immer eine große Bedrohung dar.

Teilen Sie die Ansicht Ihrer Regierung, dass das Atomabkommen mit dem Iran Israel schadet?

Das Abkommen ist ein Faktum. Wir hätten ein besseres Abkommen vorgezogen. Es hätte auch eine Vereinbarung inkludieren müssen, dass der Iran seine Unterstützung für Terrorgruppen einstellt. Doch es schiebt die nukleare Bedrohung um zehn Jahre auf.

ZUR PERSON

Amir Peretz, geboren 1952 in Marokko, war von November 2005 bis Juni 2007 Chef der Arbeitspartei und von Mai 2006 bis Juni 2007 Verteidigungsminister Israels. Der Libanon-Krieg schwächte seine interne Position, Ehud Barak stürzte ihn als Parteichef. Nach einem Zwischenspiel bei Hatnua will der Ex-Gewerkschaftsboss nun wieder der Arbeitspartei beitreten. Der Knesset-Abgeordnete ist Präsident der parlamentarischen österreichisch-israelischen Freundschaftsgruppe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2015)

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