Was die Welt ein bisschen besser gemacht hat

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Die Öffentlichkeit steht im Bann permanenter Krisenberichterstattung. Kriege, Konflikte und Gewalt bestimmen die Schlagzeilen. Doch es gibt auch positive Nachrichten: Die Armut sinkt, der Kampf gegen die schlimmsten Krankheiten zeitigt Erfolge, und die Welt hat endlich ein Klimaabkommen. Ein Überblick.

Die Kriege in Syrien, Afghanistan und Libyen wüten weiter. Die Flüchtlingskrise gefährdet den Zusammenhalt Europas. Der sogenannte Islamische Staat inszeniert unbeschreibliche Gräueltaten. Blutige Anschläge von Kenia über Tunesien bis nach Paris und die USA haben hunderte Menschen das Leben gekostet und die Welt in eine ständige Terrorangst versetzt. Das alles bestimmte die Schlagzeilen der vergangenen Monate. Nur schlechte Nachrichten? Nein, hier sind die guten.

Zusammenarbeit

Anfang des Jahres war noch viel von einem neuen Kalten Krieg die Rede. Die Ukraine-Krise schien unlösbar, Russland und die Nato rüsteten an den Grenzen auf. Der UN-Sicherheitsrat blockierte sich in der Syrien-Krise selbst, und die Welt schaute zu, wie sich die Abwärtsspirale immer weiter drehte. Pessimisten sahen schon das Ende der internationalen Zusammenarbeit. Dann kam das Minsk-II-Abkommen, und inzwischen – so schwierig es auch sein mag – laufen auch die Bemühungen zur Lösung der Syrien-Krise an. Und nicht nur das: Zwei Mal in diesem Jahr bewies die Staatengemeinschaft, dass sie doch gemeinschaftlich handeln kann.

Im September einigten sich alle UN-Staaten auf neue Nachhaltigkeitsziele: auf das erste globale Programm für eine gesündere, sauberere und von Gleichheit geprägte Welt. Anfang dieses Monats dann der Durchbruch in den Klimaverhandlungen: Das Paris-Abkommen ist die erste universelle Einigung zum Klimaschutz, alle sind mit an Bord, China und die USA inklusive. Ja, die Umsetzung zählt. Bisher ist alles noch ein Versprechen. Aber ist das schlecht? Schließlich haben auch die Millenniumsziele viel erreicht.

Weniger Armut

Geradezu euphorisch reagierte Weltbank-Präsident Jim Yong Kim angesichts der neuesten Zahlen seiner Organisation zur extremen Armut: „Dies ist die beste Geschichte der Welt heute!“ Der Grund: Die extreme Armut in der Welt soll in diesem Jahr nach den neuesten Prognosen erstmals überhaupt auf unter zehn Prozent sinken. Laut Weltbank werden heuer noch 702 Millionen Menschen, also 9,6 Prozent der Weltbevölkerung, ohne das Nötigste leben. Zum Vergleich: 1990 waren es laut UN 1,9 Milliarden. „Diese Hochrechnungen zeigen uns, dass wir die erste Generation in der Geschichte der Menschheit sind, die die extreme Armut beenden kann“, so Kim.

Als extrem arm definiert die Weltbank Menschen, die mit weniger als 1,90 Dollar pro Tag auskommen müssen. Bisher waren es 1,25 Dollar pro Tag; die Berechnungsgrundlage wurde in diesem Jahr angepasst. Die UNO geht in ihrem Abschlussbericht zu den Millenniumszielen von der alten Schwelle aus und bezifferte die Zahl der extrem Armen im Juli auf 836 Millionen. Die im September beschlossenen Nachhaltigkeitsziele sollen die extreme Armut bis 2030 gänzlich auslöschen.

Die Erfolge sind je nach Weltgegend unterschiedlich. Hauptgrund für den Rückgang der extremen Armut ist die starke wirtschaftliche Entwicklung in den Schwellenländern – allen voran China. Der Wirtschaftsboom zusammen mit einer Armutsbekämpfungsstrategie hat dort in 30 Jahren mehr als 750 Millionen Menschen aus extremer Armut geführt. In den Städten ist sie nach jüngsten Zahlen de facto überhaupt nicht mehr vorhanden. In ganz Ostasien fiel die extreme Armut von 80 Prozent im Jahr 1981 auf 7,2 Prozent im Jahr 2012.

(c) Die Presse

Schlusslicht bei der Armutsbekämpfung ist Subsahara-Afrika. 43 Prozent der 900 Millionen Menschen dort leben laut Weltbank mit weniger als 1,90 Dollar pro Tag. Zwar gibt es auch Erfolge: In Senegal und Uganda zum Beispiel hat sich die Zahl der Armen halbiert, in Äthiopien ist die extreme Armut um 20 Prozent zurückgegangen. Das starke Bevölkerungswachstum, unter anderem, macht aber viele Erfolge zunichte.

Gesundheit

Margaret Chan, Chefin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), sprach von einer „großen Erfolgsgeschichte für die öffentliche Gesundheit“: Die Zahl der Menschen, die an Malaria gestorben sind, ist in diesem Jahr laut dem neuesten WHO-Bericht stark gesunken. Erstmals fiel sie mit 438.000 Todesfällen unter die Halbe-Million-Marke. Die von Moskitos übertragene Tropenkrankheit ist eine der Haupttodesursachen in Entwicklungsländern. Erfolge gibt es vor allem in Afrika, das bis heute die allermeisten Neuinfektionen und Opfer verzeichnet: Seit 2000 ist die Anzahl der Todesfälle dort um 66 Prozent gesunken, für Kinder unter fünf Jahren um 71 Prozent. Erfolgreiche Gegenmittel: Moskitonetz, Mückenspray und Malariamedikamente.

Auch die Zahl der HIV-Neuinfektionen geht weiter zurück, und immer mehr Menschen – heuer 15,8 Millionen der 36,9 Millionen HIV-Infizierten – haben Zugang zu einer antiretroviralen Therapie. Die Ebola-Epidemie in Westafrika, die mehr als 11.000 Menschen das Leben gekostet hat, konnte eingedämmt werden: Sierra Leone wurde am 7. November für ebolafrei erklärt. In Guinea gab es in den vergangenen Wochen keine Neuerkrankungen. In Liberia waren es drei neue Fälle im November.

Der Kampf gegen die schlimmsten Krankheiten ist ein Grund, warum die Lebenserwartung weltweit gestiegen ist. Eine Frau wird heute im Durchschnitt 72 Jahre als, ein Mann 68 – jeweils sechs Jahre älter als noch vor 20 Jahren. Es sterben um mehr als die Hälfte weniger Kleinkinder in ihren ersten fünf Lebensjahren als noch 1990, und die Müttersterblichkeit ist weltweit um 45Prozent zurückgegangen. Immer mehr Menschen haben außerdem Zugang zu sauberem Trinkwasser und Toiletten.

Bildung

Der Kampf für bessere Schulbildung hat ein Gesicht: Malala Yousafzai, die junge Frau aus Pakistan, die als Jugendliche einen Taliban-Mordanschlag überlebt und für ihren Einsatz den Friedensnobelpreis bekommen hat. „Bildung ist kein Privileg – Bildung ist ein Recht“, sagte sie im September beim Weltgipfel der Vereinten Nationen in New York.

Längst ist das noch nicht erreicht, Millionen Kinder in Konfliktgebieten können nicht zur Schule gehen, noch sind Mädchen bei der Bildung benachteiligt, längst nicht alle Schulabgänger in den Entwicklungsländern können lesen und schreiben. Aber auch hier gibt es Fortschritte: Während vor 15 Jahren über 106 Millionen Kinder nicht einmal die Grundschule besuchen konnten, ist die Zahl heuer auf 57 Millionen gefallen.

Die Zahl der Schulen weltweit wächst rapide. Das Schlusslicht Subsahara-Afrika hat bei der Bildung größere Fortschritte als jede andere Weltgegend gemacht. Laut dem UN-Millenniumsbericht 2015 gehen dort inzwischen 80 Prozent der Kinder in die Grundschule, im Vergleich zu nur 52 Prozent vor 25 Jahren. Die meisten Fortschritte gab es in den vergangenen fünf Jahren. Oft ist das auch eine Frage der politischen Prioritätensetzung. Tansania hat gerade die Schulgebühren abgeschafft, ab Jänner soll der Besuch von Grund- und weiterführenden Schulen kostenlos sein. Und: Wer seine Kinder nicht in die Schule schickt, macht sich strafbar.

Frieden

Nein, noch ist der Konflikt zwischen der marxistischen Guerillaorganisation Farc und der Regierung in Bogotá nicht gelöst. Aber Kolumbien ist dem Frieden näher als je zuvor. Das ist so signifikant, dass wir dem ältesten Konflikt Lateinamerikas einen eigenen Text widmen (siehe Seite 12). In Burma schicken sich die Generäle nach dem Wahlsieg der Partei NLD von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi an, ihre Regierungsmacht tatsächlich freiwillig zu übergeben.

Das Atomabkommen von Wien beendete den 13 Jahre währenden Streit mit dem Iran über sein Nuklearprogramm. Gute Nachrichten in einer Zeit, in der fast alle Atommächte ihre Arsenale aufrüsten. Und die Gegenbewegung wächst: Einer humanitären Initiative zur atomaren Abrüstung haben sich rund 160 Staaten angeschlossen.

Ein Hoffnungsschimmer kommt aus Afrika: In Burkina Faso haben Ende November die ersten Wahlen seit dem Sturz von Blaise Compaoré stattgefunden, der das Land 27Jahre regiert hat. Damit könnte dort nach den Wirren der vergangenen Monate wieder Stabilität einkehren. Die Wahl hat auch für andere afrikanische Länder Bedeutung: Compaoré wurde gestürzt, weil er sich eine weitere Amtszeit sichern wollte – wie so viele seiner afrikanischen Kollegen, zum Beispiel in Burundi, Ruanda oder Kongo-Brazzaville. Indien und Bangladesch haben nach Jahrzehnten ihre gemeinsame Grenze festgelegt. Und die USA und Kuba halten an ihrem Normalisierungskurs fest. Diplomatische Beziehungen wurden aufgenommen, das US-Handelsembargo wurde gelockert. US-Präsident Barack Obama erwägt für 2016 einen Besuch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2015)

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