Brexit: Ein Etappensieg für David Cameron

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BELGIUM-EU-SUMMIT(c) APA/AFP/ALAIN JOCARD
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Mit seiner Forderung nach einer EU-Vertragsänderung konnte sich der britische Premier zwar durchsetzen – der Zeitpunkt dieser Änderung ist ebenso offen wie ihr Inhalt. Nun sind die Brüsseler Europarechtler am Zug.

Brüssel. Für David Cameron läuft der Countdown: Nur zwei Monate bleiben dem britischen Premierminister bis zum nächsten planmäßigen EU-Gipfel am 18. Februar, bei dem ein Deal über bessere Bedingungen für Großbritannien fixiert werden soll. Bis dahin müssen sich die Europarechtler in London und Brüssel auf einen Vorschlag einigen, der einerseits den britischen Wünschen entgegenkommt, und anderseits nicht den rechtlichen Rahmen der Union sprengt und den guten Willen der restlichen Mitgliedstaaten nicht über Gebühr strapaziert.

Einen Etappensieg konnte Cameron jedenfalls Donnerstagnacht beim EU-Gipfel in Brüssel erringen: Die Staats- und Regierungschefs der EU lehnen die von London geforderten Änderungen des europäischen Primärrechts (also der EU-Verträge) nicht mehr ab. Eine Novelle sei sogar relativ wahrscheinlich, sagte Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel – allerdings nicht sofort, sondern bei der nächsten anstehenden Vertragsänderung. Bis dahin müsste sich London mit einer verbindlichen schriftlichen Zusage zufriedengeben. Soll heißen: Vor dem Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU, das aller Voraussicht nach Mitte 2016 stattfinden dürfte, wird nicht in die europäischen Verträge eingegriffen.

45-minütige Tischrede

Während die Entscheidungsträger der EU im Brüsseler Ratsgebäude Justus Lipsius am Donnerstag beim traditionellen Gipfel-Dinner saßen – es gab Hühnerterrine und Hirsch –, hielt Cameron eine 45-minütige Tischrede, in der es um das ging, was in der Schweiz als „Dichtestress“ bekannt ist – also Probleme mit vielen Neuankömmlingen. „Das Ausmaß der Migration, mit der wir uns konfrontiert sehen, ist beispiellos“, erklärte der britische Premier seinen Kollegen. Durch die Einwanderung werde die EU in Großbritannien immer unbeliebter. Die einzige Lösung: „Die Mitgliedstaaten müssen ihre Sozialsysteme flexibler gestalten können, um Einwanderung besser zu managen.“

Die Forderung nach einer vierjährigen Reduktion der Sozialleistungen für EU-Ausländer ist der umstrittenste Punkt auf Camerons Wunschliste – wobei auch die anderen Forderungen nicht unumstritten sind. So soll die Europäische Zentralbank beispielsweise den britischen Wunsch nach einer Klarstellung, der Euro sei nicht die einzige Währung der EU, nicht sonderlich goutieren. Doch das größte Problem ist eindeutig die Ungleichbehandlung von EU-Ausländern in Großbritannien, weil erstens viele Mitgliedstaaten strikt dagegen sind und zweitens das EU-Recht Diskriminierungen verbietet – weshalb Cameron auf eine Vertragsänderung pocht.

Dass sich die Briten in dieser Frage durchsetzen können, scheint angesichts der Widerstände mehr als fraglich – weshalb in den kommenden Wochen ein gesichtswahrender Kompromiss gefunden werden muss. Eine Möglichkeit ist die bereits lancierte Idee einer Migrations-„Notbremse“, sollte das Sozialsystem eines EU-Mitglieds überfordert sein. Die Idee hat aus britischer Perspektive allerdings eine Schwachstelle: Nicht London würde die Notbremse ziehen dürfen, sondern die EU-Kommission – angesichts der Tatsache, dass der Bevölkerungsanteil der EU-Ausländer in Großbritannien im Vorjahr bei 4,1 Prozent lag, in Österreich aber bei 6,1, in Belgien bei 7,4 und in Luxemburg gar bei 39 Prozent, dürfte sie auf Wunsch Londons wohl kaum zur Tat schreiten.

Die Hoffnung ruht nun auf den Anwälten der Brüsseler Behörde: Die Kommission habe ihm zugesagt, an einer Lösung zu arbeiten, sagte Cameron gestern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2015)

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