China: Wo Kinder online verkauft werden

Buben sind am Schwarzmarkt viel wert.
Buben sind am Schwarzmarkt viel wert.AFP
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Aus dem Handel mit Buben und Mädchen lässt sich in China Profit schlagen. Sie werden entführt oder von den eigenen Eltern feilgeboten.

Ein kurzer Moment genügt. Ein paar Sekunden wegsehen, das Kind aus den Augen lassen - und es ist weg, meist für immer. Verkauft für die Prostitution, als billige Arbeitskraft oder Bettler, als zukünftige Braut oder an kinderlose Ehepaare.

10.000 Kinder werden jährlich in China entführt, bezieht sich die chinesische Zeitung „Epoch Times“ auf Regierungsquellen. Andere Medien sprechen gar von 200.000 Kindesentführungen pro Jahr - das sind rund 3800 pro Woche. Die Polizei weist die höheren Zahlen zurück. Welche Dimensionen der Kinderhandel in China annimmt, beweist auch ein Bericht der Zeitung Fazhi Ribao: 2014 konnte die Polizei 13.000 verschollene Kinder und 30.000 verschleppte junge Frauen befreien.

Auch der 40-jährige Xiao Chaohua verlor sein Kind an Menschenhändler. Seit 2007 ist sein Sohn unauffindbar. Der kleine Xiaosong verschwand, als er sich von einem Greißler um die Ecke eine Jause kaufen wollte. Der Ladenbesitzer begann sofort mit der Suche nach dem damals Fünfjährigen. Doch selbst die Polizei konnte ihm nicht helfen.

Hilfe über das Internet

Ein Jahr tourte der 40-Jährige auf dem Motorrad durch seine Heimatprovinz Kanton. Von Xiaosong war immer noch keine Spur. Selbst eine Anzeige im lokalen Fernsehen half nichts. Vergebens gab er dafür 50.000 Renminbi (rund 7400 Euro) aus. Xiao ließ daraufhin sein Geschäft auf, um sich einen Lieferwagen finanzieren zu können. Mit dem Auto begann seine Reise quer durch China. Vom tibetischen Hochland über verlassene Dörfer im Landesinneren bis hin zu den Megastädten an der Küste führte ihn die Suche – bisher ergebnislos.

Über das Internet mobilisiert sich Hilfe für verzweifelte Familienangehörige wie Xiao. Unzählige Bilder von kleinen Buben mit pausbäckigen Gesichtern oder Mädchen mit rosa Röckchen sind auf der Internetseite der Organisation „Baby komm nach Hause“ gespeichert. Mehr als 23.000 Chinesen erhoffen sich, mit Hilfe der Plattform ihr Kind zu finden. Auch der Internetgigant Tencent bietet auf seinem Nachrichten-Dienst „QQ“ Unterstützung. Mit der Initiative „Die ganze Stadt hilft“ sollen Fremde in der Umgebung die Suche nach verschwundenen Kindern beschleunigen. In den ersten 72 „goldenen Stunden“ sei die Chance, sie wieder zu finden, am größten, heißt es.

Während tausende Eltern für ein Wiedersehen ihre letzten Ersparnisse aufbrauchen, schlagen andere aus dem Kinderhandel Profit: Die chinesische Zeitung „Southern Metropolis Daily“ untersuchte Gerichtsfälle, mit insgesamt 380 entführten Kindern und 508 Verdächtigen. In sechs von zehn Fällen verkauften biologische Eltern ihre eigenen Sprösslinge – meist aus finanzieller Not.

Buben sind besonders begehrt

Häufig sind Ärzte Komplizen der Deals. Sie vermitteln die Neugeborenen direkt aus dem Kreißsaal. Immer öfter aber werden Webseiten und Onlineforen als Marktplätze für Kinder missbraucht. Vergangenes Jahr flog ein Schmuggelring auf, der über getarnte Adoptions- und Pflegekinder-Portale entführte Babys verkauft hatte. Auch eine Redakteurin der britischen BBC stieß im Internet auf eine Anzeige, in der eine Chinesin ein achtmonatiges Baby um umgerechnet knapp 28.500 Euro feilbot. Sie könne es sich als alleinerziehende Mutter nicht leisten, drei Kinder aufzuziehen, sagte sie. Daher verkaufe sie eine ihrer Zwillingstöchter.

Für einen kleinen Buben hätte sie weitaus mehr verlangen können. Sie sind auf dem Schwarzmarkt besonders beliebt. Das spiegelt sich auch im Preis. Rund 45.000 Yuan (ca. 6400 Euro) sind sie durchschnittlich wert, Mädchen mindestens 10,000. Meist bis zu sechs Jahren werden Buben zur Adoption an kinderlose Eltern verkauft. Mädchen sind zwischen 14 und 18, wenn sie entführt und als Bräute oder Prostituierte weiter verscherbelt werden.

Folgen der Ein-Kind-Politik

Es sind Auswüchse der mehr als dreißig Jahre währenden Ein-Kind-Politik: : Kidnapper stehlen aus ländlichen Gegenden, wo die Umsetzung der Geburtenkontrolle lax war und verkaufen dorthin, wo es wegen der strengen Umsetzung an zukünftigen Erbfolgern und Ehefrauen fehlt. Als Erhalter der Familie haben Männer in China traditionell einen höheren Stellenwert. Jahrelang haben Schwangere daher in der Hoffnung auf einen Sohn illegal weibliche Föten abgetrieben. Auf 117 Männer kommen in China daher derzeit 100 Frauen.

Nach Lockerung der Ein-Kind-Politik rechnet die Regierung mit einem Rückgang von Kindesentführungen. Seit November dürfen Chinesen offiziell zwei Kinder bekommen. Für Paare, die auf natürlichem Weg keine Eltern werden können, bleibt der Anreiz, Kinder zu kaufen, dennoch: Es fehlt an einem liberalen Adoptionssystem.

Todesstrafe für Kinderhändler

Das Gewerbe wird noch länger wuchern. Dessen ist sich Chinas Führung bewusst. Angesichts der Brisanz des Themas geht sie verstärkt gegen Kinderhandel vor: Offiziellen Angaben zufolge haben Sicherheitskräfte in den vergangenen fünf Jahren mehr als 11.000 Schmuggelnetzwerke ausfindig gemacht und 54.000 Kinder befreit.

Während Kinderhändlern die Todesstrafe droht, ahndet Peking seit Kurzem auch die Käufer strenger. Bisher wurden nur Personen belangt, die entführte Kinder in ihrer Obhut misshandelten. Nun drohen allen Strafen. Die Umsetzung sei aber lasch, berichtet das Propagandablatt „Global Times“ - maximal müssten sie bis zu drei Jahre ins Gefängnis.

("Presse"-Printausgabe, 24.12.2015)

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