Macho-Politiker: Das Jahr der Autokraten

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Machopolitiker wie "Zar Wladimir" und "Sultan Tayyip", die Präsidenten Putin und Erdoğan, drückten der Weltpolitik heuer ihren Stempel auf - bis sie selbst aneinandergerieten. Nur Xi Jinping, den "Kaiser von China", ließ das alles unbeirrt.

Von Kaliningrad bis Wladiwostok flogen neulich Hundertschaften an Journalisten aus ganz Russland nach Moskau. Die Rollen bei der jährlichen Pressekonferenz des Präsidenten, die sich über Stunden hinzog, waren klar verteilt: Der Kreml-Herr hielt Hof, er lieferte die Stichworte und nahm die Huldigungen entgegen. „Wladimir Wladimirowitsch, als Frau muss ich Ihnen sagen, wie gut und sportlich Sie aussehen“, hob eine Redakteurin an. „Und das ohne Doping“, unterbrach Wladimir Putin sie mit einem Schmunzeln.

Der russische Bär zeigte heuer wieder einmal Muskeln. Nicht nur die Fragestunde am Ende eines Jahres, in dem sich der starke Mann des von wirtschaftlichen Nöten gezeichneten Riesenlandes als Akteur auf der internationalen Bühne zurückgemeldet hatte, verlief ganz nach seinem Geschmack. Noch bei der Militärparade zum 70-Jahr-Jubiläum des Siegs im Vaterländischen Krieg auf dem Roten Platz im Mai hatten ihn die Staats- und Regierungschefs der Alliierten – Barack Obama, David Cameron, François Hollande – durch ihr demonstratives Fernbleiben brüskiert. Im Präsidentenpalast in Minsk hatten ihm Hollande und Angela Merkel zwei Monate zuvor in einem nächtlichen Verhandlungsmarathon einen Waffenstillstandspakt im Ukraine-Konflikt abgerungen, der seither im Großen und Ganzen hält.

22 Monate nach der Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel Krim ist der Pariastatus Putins zwar noch nicht gänzlich beendet, doch die Isolation Russlands durch den Westen ist dank der Kooperation Moskaus bei der Beilegung des Atomkonflikts mit dem Iran und bei den Syrien-Gesprächen durchbrochen. 200 Jahre nach Ende des Wiener Kongresses hatte die österreichische Hauptstadt im Übrigen gleich in beiden Streitfragen als Verhandlungsort an die diplomatische Tradition Metternichs angeknüpft. Getanzt hat indessen niemand im Palais Coburg und im Hotel Imperial, weder John Kerry, der auf Krücken humpelnde US-Außenminister, noch Mohammad Javad Zarif, sein von Hexenschuss geplagter iranischer Konterpart.

2015 war ein gutes Jahr für Autokraten und Machopolitiker vom Schlage eines Wladimir Putin (und Donald Trump) und des Bruders im Geiste, Recep Tayyip Erdoğan, der „anatolischen Version“ Putins, wie die US-Zeitschrift „Foreign Policy“ schrieb – bis der Zar und der Sultan einander, wie zwei Preisboxer aus der Ferne geifernd, infolge des Abschusses eines russischen Kampfjets vor einem Monat heftig in die Haare gerieten und einen Krieg der Worte anzettelten. Im Syrien-Krieg kollidierten die widerstreitenden Interessen der Regionalmacht Türkei mit der Großmacht Russland.

Putin hatte mit seiner Militärintervention zugunsten des syrischen Assad-Regimes vollendete Tatsachen geschaffen und sich so zurück in die Runde der Mächtigen der Weltpolitik katapultiert. Beim G20-Gipfel im November in Antalya war er neben Gastgeber Erdoğan, mit dem er noch wenige Wochen zuvor auf Socken über den Teppich geschritten war, um in Moskau die neue Dschuma-Moschee zu eröffnen, umschwärmter Mittelpunkt. Der Westen hat die Sanktionen gegen Russland zwar noch einmal um ein halbes Jahr verlängert, doch schon plädieren die Ersten für die Wiederaufnahme Putins in den Kreis der G8-Staaten.


Repression nach innen. Beinahe noch härter als Putin geht Erdoğan derweil gegen Opposition, Medien und Minderheiten vor, und nach den Schalmeientönen gegenüber der PKK vom Frühjahr hat er im Sommer neuerlich einen brutalen Krieg gegen die Kurdenmilizen in Südostanatolien lanciert, der an die blutigen 1980er- und 1990er-Jahre erinnert. Nach einem Triumph seiner islamisch-konservativen AKP bei der Neuwahl im November – nach einer Schlappe im Juni – intern gestärkt, findet sich der türkische Präsident in der Flüchtlingskrise unversehens als Schlüsselfigur wieder.

Umworben von der EU und allen voran von Angela Merkel, die jede Skepsis und Kritik beiseiteschob, um ihm in Ankara am Höhepunkt des Wahlkampfs einen Besuch abzustatten, spielt Erdoğan seine neue Macht aus. Als Kontrolleur des Flüchtlingsstroms aus Nahost ist die Türkei plötzlich in Brüssel und Berlin wieder obenauf und international wohlgelitten, und auch gegenüber dem einstigen Partner Israel bahnt sich eine Wiederannäherung an.

Die neuen Freunde im Westen kompensieren die neue Feindschaft Ankaras mit Moskau und die alte Rivalität mit Teheran. Der Atomdeal mit dem Iran beflügelte das Reformlager im Gottesstaat, doch der zähe Machtkampf mit Ayatollah Ali Khamenei, dem obersten Führer, mit der Justiz und den Revolutionsgarden wogt hin und her. Die westlichen Sanktionen hatten die Hardliner im Atomkonflikt in die Knie gezwungen. Nächster Indikator sind die Wahlen zum Parlament und zum Expertenrat in zwei Monaten.

Der globale Kampf gegen die Terrormilizen des Islamischen Staats (IS) hat die Relikte der Macht des syrischen Diktators Bashar al-Assad, der nicht müde wird, in Interviews zynisch über den Westen herzuziehen, zementiert. Die Einflusssphäre ist zugunsten der zweiten Schutzmacht, des Iran, verschoben. Der Stellvertreterkrieg mit den schiitischen Erzrivalen des Mullah-Regimes im Jemen rief die neue saudische Führung auf den Plan, die neuerdings eine aggressivere Außenpolitik verfolgt. Vizekronprinz und Verteidigungsminister Mohammed bin Salman, der ambitionierte, 30-jährige Königssohn, warf im Hinterhof des Königreichs die Armee in die Schlacht. Jüngst hob er sogar eine eigene, poröse Anti-Terror-Allianz aus der Taufe.


Generäle danken ab. Anderswo, in Kuba, Venezuela und in Burma, dräut indessen die Dämmerung der Potentaten. In der Karibik steht das letzte kommunistische „Paradies“ neben der Steinzeit-Diktatur in Nordkorea vor dem schleichenden Umbruch. Im Zuge der Öffnung nach mehr als 50 Jahren haben die USA und Kuba ihre Botschaften in Havanna und Washington wiedereröffnet, und Barack Obama und Rául Castro haben sich in Panama zu einem wohlwollenden Tête-à-tête getroffen. Von der Macht wollen freilich weder Castro noch sein venezolanischer Schützling Nicolás Maduro nach dem jüngsten Wahldebakel in Caracas so schnell lassen. In Burma zeichnet sich nach dem fulminanten Wahlsieg der Friedensnobelpreisträgerin Aung Sang Suu Kyi dagegen ein Ende der Ära der Generäle ab.

Nur in China bleibt alles beim Alten. Unbeirrt von den Turbulenzen ringsum ließ sich Staatschef Xi Jinping im Weißen Haus in Washington ein Staatsbankett ausrichten und in London von der Queen wie ein Kaiser in den Buckingham Palace kutschieren.

FAKTEN

Diplomatie. Am 14. Juli präsentierten die Außenminister der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands, Russlands, Chinas und die EU-Außenbeauftragte gemeinsam mit dem iranischen Chefdiplomaten nach mehr als zwölfjährigen Verhandlungen ein Abkommen im Atomkonflikt mit Teheran. Vier Monate später, einen Tag nach der Terrorserie in Paris, einigten sich 20 Außenminister in Wien auf einen Fahrplan für eine Lösung im Syrien-Krieg.

Krieg. Seit dem Anschlag im südtürkischen Suruç Ende Juli führt die Türkei Krieg gegen den IS und mehr noch gegen die PKK. Zwei Monate später griff Russland an der Seite Assads im Syrien-Krieg ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2015)

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