Russland: Ein Teenager als Volksfeind

Ein 18-Jähriger, der nach Kreml-kritischer Aktion gemobbt wurde, beging Selbstmord.

Wien/Moskau. Wlad Kolesnikow hatte auf Facebook 4061 Freunde und noch viel mehr Feinde. Für seine Feinde war er ein Vaterlandsverräter, für seine Freunde ein Held. Am 17. Dezember schrieb Kolesnikow seine letzte Statusmeldung, es war ein Link zu einem Artikel über den ersten Fall des ukrainischen Antikorruptionsbüros. Jetzt schweigt sein Account. Neben seinem Profilfoto steht „in Erinnerung an“. Diese Funktion hat Facebook bei Todesfällen eingeführt. Kolesnikows Leben ist zu Ende, im Netz abgespeichert.

Wladislaw Kolesnikow, 18-jähriger Schüler aus der Stadt Podolsk nahe Moskau, nahm sich am 25. Dezember mit einer Überdosis Medikamente das Leben. Von seinem Freitod erfuhren die meisten seiner Anhänger und Gegner über die sozialen Netzwerke. Denn Kolesnikow war ein Internetstar, berühmt in ukrainischen und berüchtigt in russischen Medien.

Im Juni 2015 wurde der Schüler in sozialen Medien bekannt, als er mit einem Aufnäher mit den Worten „Gebt die Krim zurück!“ gegen die Annexion der Halbinsel durch Russland protestierte. Im örtlichen Wehrkommando ließ er auf seinem Handy die ukrainische Hymne erklingen. Das brachte ihm international viel Zuspruch. Vor Ort erlebte er nichts als Ächtung: Sein Großvater, bei dem er lebte, warf ihn hinaus; die Schule musste er verlassen; trotz Umzugs wurde der 18-Jährige weiter bedroht, konnte aber von der Polizei keine Hilfe erwarten. In Zeiten extremer Polarisierung im Zuge des russisch-ukrainischen Konflikts war er für den Großteil der russischen Öffentlichkeit ein Verräter. Kolesnikow war dem sozialen Druck nicht mehr gewachsen, mutmaßt eine mit ihm befreundete Journalistin von Radio Freies Europa. „Man kann mich einfach verhauen oder umbringen“, schrieb er zuletzt verzweifelt. (som)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2015)

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