Israel: Netanjahu verschärft Kampf gegen Kritiker

Israels Regierungschef, Benjamin Netanjahu.
Israels Regierungschef, Benjamin Netanjahu.(c) REUTERS
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Ein Gesetzesentwurf sieht vor, dass von ausländischen Regierungen finanzierte NGOs bei Treffen mit Politikern künftig Plaketten tragen sollen. Aktivisten sprechen von einer Hexenjagd und warnen vor Schaden für die Demokratie.

Jerusalem. Das Vorgehen gegen regierungskritische Organisationen in Israel soll mit einer geplanten Rechtsreform zusätzliche legale Rückendeckung erhalten. Bereits am Sonntag bewilligte das Kabinett in Jerusalem einen Reformvorschlag von Justizministerin Ajalet Schaked von der Siedlerpartei Das jüdische Haus. Laut Transparenzgesetz sollen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die mehr als die Hälfte ihres Budgets in Form von Spenden von ausländischen Regierungen beziehen, künftig dazu verpflichtet werden, bei Terminen mit parlamentarischen Vertretern eine entsprechende Plakette zu tragen. Außerdem sollen die NGO detaillierte Angaben über die ausländischen offiziellen Spender machen.

Israels Regierungschef, Benjamin Netanjahu, „zerschlägt die Überreste des demokratischen Spielraums in Israel“, kommentierte der Abgeordnete Ayman Odeh von der arabischen-antizionistischen Vereinten Liste. Bürgerrechtsgruppen sprechen von einer Hexenjagd auf NGOs.

„Agitation gegen Israel“

Der Reformvorschlag, der Anfang kommender Woche der Knesset vorgelegt werden soll und unter aktueller Konstellation des Parlaments nahezu sicher befürwortet werden wird, steht in einer Reihe von Entwicklungen zur Ächtung regierungskritischer Stimmen im Land, allen voran den Kritikern der Militärbesatzung. Erst vor knapp zwei Wochen trat die rechtsnationalistische Organisation Im Tirzu mit einem via Internet verbreiteten Hetzvideo an die Öffentlichkeit heran, das namentlich vier Menschenrechts- und Friedensaktivisten als ausländische „Implantate“ beschimpfte, die es darauf anlegten, gegen Israel zu agitieren. Eine der im Video genannten linken NGOs ist die Gruppe Das Schweigen brechen von ehemaligen Soldaten, die im besetzten Gebiet stationiert waren.

„Es geht nicht nur um einen Sticker, den wir künftig bei Terminen in der Knesset tragen müssten“, kommentiert Avichai Stoller von Das Schweigen brechen auf telefonische Anfrage der „Presse“. Sollte die Rechtsreform verabschiedet werden, müssten die Friedensaktivisten „bei jedem Antrag an staatliche Institutionen klarstellen, dass mehr als die Hälfte ihres Budgets von offiziellen Stellen aus dem Ausland kommt“. Die Sponsoren und die Einnahmen von Das Schweigen brechen sind schon jetzt detailliert auf der Website der Organisation einsehbar – und, „im Gegensatz zu vielen anderen regierungstreuen Organisationen“, auch die Ausgaben, entgegnet Stoller.

In einem offenen Brief an Justizministerin Schaked warnt das Israelische Demokratie-Institut (IDI) vor einem Schaden für „Israels Image als Demokratie“. Besonders problematisch sei, dass das Transparenzrecht nur Spenden ausländischer Staaten nennt, auf Gelder privater Personen oder von Organisationen aber nicht anzuwenden ist. Damit werde der Zweck verfolgt, „nur den NGO zu schaden, die auf einer bestimmten Seite der politischen Landkarte stehen“. Tatsächlich beziehen linke und friedenspolitisch engagierte Nichtregierungsorganisationen zumeist Unterstützung von staatlichen Institutionen im Ausland, wohingegen Israels rechtsnationales Lager in erster Linie von Privatleuten Spenden bezieht.

Sorge um die freie Debatte

Justizministerin Schaked begründete ihren Gesetzesvorschlag damit, dass die Öffentlichkeit ein Recht habe zu wissen, welche ausländischen Regierungen sich in die inneren Angelegenheiten Israel einmische. Das IDI verweist in dem offenen Brief an Schaked auf ein vergleichbares US-amerikanisches Gesetz, das indes „keine Unterscheidung zwischen privaten und staatlichen Spenden macht“ und überhaupt erst dann zur Anwendung kommt, wenn die ausländische Institution „auf die eine oder andere Art die Aktivitäten der finanzierte Organisation managt“.

Friedensaktivist Avichai Stoller sorgt sich angesichts der jüngsten Entwicklungen nicht nur um seine Gruppe Das Schweigen brechen, sondern auch um die Demokratie in Israel schlechthin und um eine offene freie Debatte. „Von Organisationen wie Im Tirzu erwarte ich nichts anderes – aber hier ist von Ministern und dem Regierungschef die Rede, die Kritiker mundtot machen wollen.“ Die NGO der ehemaligen Besatzungssoldaten werde sich nicht unterkriegen lassen. „Wir machen weiter – ob mit oder ohne Spenden aus dem Ausland.“

Auf einen Blick

Das israelische Kabinett hat einen Gesetzesentwurf bewilligt, wonach die Arbeit von NGOs, die aus dem Ausland finanziert werden, streng geregelt werden soll. Wer mehr als die Hälfte seines Budgets von ausländischen Regierungen bekommt, muss demnach seine Geldgeber offenlegen und bei Treffen mit Politikern Plaketten tragen. Der Vorschlag soll kommende Woche der Knesset vorgelegt werden und wird aller Voraussicht nach befürwortet. Der Schritt steht in einer Reihe von Entwicklungen zur Ächtung regierungskritischer Stimmen. Mitte Dezember untersagte das Bildungsministerium den Friedensaktivisten der NGO „Das Schweigen brechen“ die Arbeit in Schulen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2015)

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