Türkei: Wer warnte vor Silvester-Attentaten in Wien?

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Medien zufolge leitete der türkische Geheimdienst Hinweise weiter, wonach die Terrormiliz IS zeitgleich in Ankara, München, Wien, Belgien, Großbritannien und Frankreich zuschlagen wollte. Österreichs Innenministerium dementiert.

Istanbul. Warnungen des türkischen Geheimdienstes sollen in der Silvesternacht zeitgleiche Selbstmordanschläge des Islamischen Staates (IS) in Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich und Großbritannien vereitelt haben. Dazu gehörten laut türkischen Medienberichten auch die mutmaßlich geplanten Gewaltaktionen in München. Deutsche Stellen sollen sich bei den türkischen Kollegen bedankt haben.

Österreich dementierte allerdings, von der Türkei gewarnt worden zu sein. Der Hinweis auf Anschlagspläne zu Silvester sei nicht aus der Türkei gekommen, hieß es aus dem Innenministerium in Wien.

Unter Flüchtlinge gemischt

Details der türkischen Medienberichte über die angeblich verhinderten Anschläge könnten die Debatte über den massenweisen Zuzug von syrischen Flüchtlingen in Europa weiter anheizen. Laut Zeitungsmeldungen mischten sich die IS-Todeskandidaten aus Syrien unter die Flüchtlinge, die zu Hunderttausenden nach Europa strömen. Teilweise sollen sie dabei mit Menschenschmugglern zusammengearbeitet haben. Türkische Regierungsvertreter äußerten sich am Donnerstag zunächst nicht zu den Berichten.

Unter Berufung auf Regierungskreise meldete „Hürriyet Daily News“, der türkische Geheimdienst MIT sei nach der Verhaftung von zwei türkischen Staatsbürgern, die im Auftrag des IS in Ankara einen Silvester-Anschlag geplant hatten, auf die Vorbereitungen für die europaweiten Gewaltaktionen gestoßen.

Musa Canöz (28) und Adnan Yildirim (40) waren am 30. Dezember in der Hauptstadt festgenommen worden und sitzen inzwischen in Untersuchungshaft. Bei der Durchsuchung des Verstecks von Canöz und Yildirim fanden die Ermittler der Zeitung zufolge in den E-Mails eines Computers die Hinweise auf die geplante Terrorwelle. Demnach sollten IS-Mitglieder in der Silvesternacht zeitgleich in Ankara, München, Österreich, Belgien, Großbritannien und Frankreich zuschlagen. Abu Mohammed al-Adnani, IS-Chefpropagandist und hochrangiger Anführer der Terrormiliz, habe die Selbstmordattentate in den sechs Ländern angeordnet. Dazu seien 13 IS-Selbstmordkandidaten aus dem nordsyrischen Raqqa, der Hauptstadt des IS-„Kalifats“, in die Türkei und nach Europa geschickt worden.

In München waren zu Silvester der Hauptbahnhof und der Bahnhof in Pasing wegen Hinweisen auf bevorstehende Anschläge vorübergehend geschlossen worden. Auch in der belgischen Hauptstadt Brüssel wurden Silvesterfeiern abgesagt. Schon vor den Festnahmen in Ankara hatten türkische Medien unter Berufung auf Sicherheitskreise von Plänen des IS für groß angelegte Anschläge in Europa zu Neujahr berichtet.

Entscheidender Tipp aus dem Irak

Kurz nach dem Jahreswechsel tauchten in türkischen Medien erste Berichte über Warnungen aus Ankara an europäische Länder auf. Darin hieß es, die syrischen IS-Mitglieder Hasan al-Talab und Muhammed el-Suri seien mit anderen Extremisten bereits im Oktober nach Europa gereist, um zum Jahreswechsel spektakuläre Anschläge zu begehen. Wegen der erhöhten Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden auf den Flughäfen hätten sich die Jihadisten unter die Flüchtlinge gemischt, die über die Ägäis und das Mittelmeer in die EU gelangen.

Ob und wieweit der türkische Geheimdienst MIT tatsächlich an der Vereitelung von Anschlägen in Europa beteiligt war, blieb am Donnerstag aber offen. Der nationalistische Oppositionspolitiker Ümit Özdağ sagte, der Hinweis auf eine geplante Gewalttat in München sei aus dem Irak gekommen.

Die Regierung in Ankara und der MIT stehen im Verdacht, nur sehr zögernd gegen den Islamischen Staat vorzugehen. So sollen im Vorfeld des IS-Selbstmordanschlags von Ankara im Oktober 2015 mit mehr als hundert Toten zahlreiche Hinweise auf die Täter ignoriert worden sein. Laut westlichen Diplomaten arbeitete die Türkei zu Beginn des Syrien-Konflikts mit radikalen Gruppen zusammen, weil sie sich von den Extremisten einen Beitrag zu einem raschen Sturz des syrischen Präsidenten, Baschar al-Assads, versprach.

Ankara weist die Vorwürfe zurück und unterstreicht immer wieder den Willen zu stärkerer Zusammenarbeit mit europäischen Geheimdiensten. Die Berichte über einen Beitrag des MIT zur Verhinderung von Anschlägen in Europa könnten dazu beitragen, das Image der Türkei aufzupolieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2016)

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