Türkei: Arbeitserlaubnis für Syrer

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EU-Kommissions-Vize Timmermans fordert mehr türkischen Einsatz: Noch immer kämen täglich bis zu 3000 Flüchtlinge in Griechenland an. Ankara verspricht Öffnung des Arbeitsmarkts für Syrer.

Istanbul. Wenn europäische und türkische Politiker über die Flüchtlingskrise reden, spielen Zahlen eine große Rolle. Auch beim Besuch von EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans in Ankara am Montag war das so. Der türkische EU-Minister, Volkan Bozkır, betonte, die Sicherheitsbehörden seines Landes griffen jeden Tag rund 500 Flüchtlinge auf dem Weg nach Griechenland auf. Das seien mehr als 150.000 Menschen im Jahr. Timmermans konterte mit eigenen Zahlen. Immer noch landeten jeden Tag zwei- bis dreitausend aus der Türkei kommende Menschen an griechischen Stränden an. Dieses Niveau sei „viel zu hoch“.

Zwar sind die Zahlen seit dem Sommer, als täglich bis zu 10.000 Flüchtlinge nach Griechenland kamen, stark gesunken. Doch nach Meinung der EU liegt das vor allem am Winterwetter, das die Überfahrt für die Flüchtlinge in Schlauchbooten erschwert. Wirksame türkische Maßnahmen, mit denen die Abfahrt der Flüchtlingsboote aus der Türkei verhindert werden könnten, sind für die EU bisher nicht erkennbar.

Angst der EU vor dem Frühling

Das Vorgehen gegen die Massenflucht müsse beschleunigt werden, forderte Timmermans. Konkrete Projekte müssten her. Zudem verlangte er eine Bestandsaufnahme darüber, welche Teile des im November vereinbarten Aktionsplanes von EU und Türkei schon umgesetzt worden seien und welche nicht. Damals hatte sich die Türkei verpflichtet, mehr zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms zu tun, der im vergangenen Jahr rund eine Million Menschen in die EU brachte. Im Gegenzug will die EU der Türkei eine Finanzhilfe von drei Milliarden Euro zahlen, die türkischen Beitrittsverhandlungen beschleunigen und Reiseerleichterungen für Türken in Europa umsetzen. Politiker in europäischen Hauptstädten sorgen sich um die Reaktion ihrer Wähler, falls die Flüchtlingszahlen im Frühjahr wieder ansteigen sollten. Deshalb machen Timmermans und andere jetzt verstärkt Druck auf Ankara.

Bozkır weiß, dass die Europäer schnelle Erfolge sehen wollen. Der türkische EU-Minister versprach deshalb am Montag eine türkische Kursänderung in einem wichtigen Bereich. Erstmals sollen syrische Flüchtlinge in der Türkei nach seinen Worten bald Arbeitsgenehmigungen erhalten. Bisher werden die Syrer zwar geduldet, haben aber keinen offiziellen Flüchtlingsstatus und dürfen auch nicht arbeiten. Weil vielen die Ersparnisse ausgehen, verdingen sie sich zu Hungerlöhnen in der Industrie oder im Agrarsektor. Andere betteln auf der Straße.

Jugendarbeitslosigkeit bei 20 Prozent

Eine Öffnung des legalen Arbeitsmarktes wäre ein wichtiger Beitrag zur Integration der Syrer in die türkische Gesellschaft – gleichzeitig aber bei vielen Türken höchst unbeliebt. Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 20 Prozent und einer generellen Erwerbslosigkeit von zehn Prozent würde die Suche nach guten Jobs noch schwieriger.
Schon jetzt gibt es in einigen Gebieten mit hohem syrischen Bevölkerungsanteil, wie etwa entlang der gemeinsamen Grenze, hin und wieder Spannungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen. Bisherige Ankündigungen Ankaras, den Syrern legale Arbeit zu erlauben, wurden nicht umgesetzt.

Der Druck der EU und die Sorge Ankaras um die Entstehung einer Parallelgesellschaft der Syrer in der Türkei könnten jetzt aber ein Umdenken bewirken. Zurzeit wird unter anderem der Bau von Schulen für syrische Kinder vorangetrieben, denn bisher gehen zwei von drei Flüchtlingskindern nicht zur Schule.
Die EU unterstützt zudem mit rund 40 Millionen Euro ein Projekt, mit dem syrische Flüchtlinge außerhalb der Auffanglager mit Geldkarten versorgt werden, damit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Mit einer neuen Visumpflicht für Syrer, die per Luft- oder Seeweg in die Türkei kommen, will Ankara außerdem den Zuzug der Flüchtlinge zumindest etwas besser steuern.

Ob all das ausreicht, um die Flüchtlingszahlen rasch zu senken, weiß niemand. Der türkische Außenminister, Mevlüt ?avuşoğlu, warf den Europäern am Montag vor, sie seien selbst mit schuld daran, dass ihnen jetzt die Zeit davonläuft. Erst im vergangenen September, nach dem Tod des syrischen Buben Aylan Kurdi, dessen Leiche an einem türkischen Strand zu einem Symbol der Flüchtlingskrise wurde, sei die EU aufgewacht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2016)

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