Polen: Revolution in den staatlichen Medien

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Die nationalkonservative Regierung in Warschau hat damit begonnen, in den Chefetagen von Staatsfernsehen und Radio politisch nahestehende Personen zu installieren. Die einfachen Redakteure sind im Sommer dran.

Warschau. Er war der Liebling (fast) aller Polinnen. „25 Jahre bei der ,Tagessschau‘, ich danke für diese tollen Jahre und sage Auf Wiedersehen!“, schrieb Fernsehsprecher Piotr Kraśko am Montag auf Twitter. Da war den polnischen Bürgern klar, dass sie ihn in der Vorwoche zum letzten Mal auf TVP1 gesehen hatten. Am Freitag nämlich hatte der Schatzminister von Jarosław Kaczyńskis PiS-Regierung den rechten Journalisten und Politiker Jacek Kurski zum Chef des polnischen Staatsfernsehens ernannt. Kurski war bisher verantwortlich für ein paar äußerst brutale PiS-Wahlkampagnen. Kraśko wiederum wurde in regierungsnahen Medien seit Monaten zum Abschuss freigegeben.

Die neue politische Kultur in Polen illustriert ein Kommentar von Piotr Lisewicz in der PiS-Parteizeitung „Gazeta Polska“. Kraśko habe sich als „antipolnischer Lügner“ gezeigt, kein PiS-Entscheid sei demokratisch besser legitimiert als sein Rausschmiss und der „seiner Klone“, schreibt der rechte Publizist. Er wirft Kraśko insbesondere das Fehlen einer journalistischen Recherche über die wahren Gründe der Flugzeugkatastrophe Lech Kaczyńskis in Smolensk vor. Die „Gazeta Polska“ weiß schon lange, dass es damals zu einem russischen Terroranschlag auf die Präsidentenmaschine kam, vermutlich unter Mithilfe des liberalen Premierministers und heutigen EU-Ratspräsidenten, Donald Tusk. Stattdessen, so Lisewicz, hätte das Staatsfernsehen TVP Journalisten ausgelacht, die darüber geschrieben hätten. „Raus mit dieser Horde!“, fordert das Blatt.

Wie Kraśko ergeht es derzeit ein paar Dutzend bekannten Gesichtern und Stimmen im polnischen Staatsfernsehen und -radio. Die Chef- und Vizechefetagen werden gesäubert; den einfachen Redakteuren und Sprechern soll es erst im Sommer an den Kragen gehen. Bis dann will die PiS-Mehrheit im Parlament das sogenannte „große Mediengesetz“ verabschiedet haben. Es soll inhaltliche Vorgaben machen und die ganze Belegschaft beider Sendeanstalten mit all ihren Unter- und den zwei Dutzend Regionalsendern auf neue Zielsetzungen verpflichten. Um dies zu schaffen, erlöschen laut PiS-Plänen alle Arbeitsverträge am Tag nach Staatspräsident Andrzej Dudas (PiS) Unterschrift unter die Gesetzesnovelle. Nur verlässliche Redakteure sollen danach wieder eingestellt werden.

Journalisten müssen zittern

Hunderte Radio- und TV-Journalisten müssen also die nächsten fünf bis sechs Monate zittern. Selbstzensur wird überhandnehmen, jeder, der keine Alternative auf dem ohnehin schon von vielen freien Journalisten überschwemmten Arbeitsmarkt findet, wird genau darauf achten, wie er Regierungspläne, Parlamentsdebatten und PiS-Politiker zeigen soll. Auch Kameraleute und technisches Personal müssen um ihre Jobs fürchten, denn im rechten Nischenfernsehen TV Republika und auch beim rechtskatholischen Sender TV Trwam wetzen viele schon die Messer. Bereits mehrere der neuen Chefposten wurden mit Spitzenleuten aus TV Republika besetzt, die rechte Buchautorin Barbara Stanisławczyk wurde trotz mangelnder Radioerfahrung Chefin des staatlichen Radios. Fundierte rechte oder rechtsextreme politische Einstellungen, die möglichst weit zurückreichen, sind willkommen.

Auch Zynismus wird von der Regierungspartei geduldet, was die Berufung Jacek Kurskis zum neuen TV-Chef zeigt. Im Präsidentschaftswahlkampf 2005 zauberte er gegen Donald Tusk einen angeblichen Großvater bei der deutschen Wehrmacht aus dem Hut. „Das ist natürlich Schwachsinn, aber das dumme Volk kauft das“, erklärte Kurski damals freimütig. Die Wahlen gewann Lech Kaczyński (PiS). Das Ziel war erreicht. Heute geht die PiS weiter: Kaczyński-Hardlinerin Krystyna Pawłowicz hat Umerziehungsmaßnahmen für renitente Journalisten gefordert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2016)

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