Jemen: Luftangriffe auf Krankenhäuser

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Mehr als 15 Millionen Menschen sind ohne Gesundheitsversorgung. Die Kriegsparteien machen vor Spitälern nicht halt. Bomben fallen auch auf Einrichtungen von Ärzte ohne Grenzen.

Kairo. Man möchte im Jemen weder Arzt noch Patient sein. Denn Angriffe auf Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen sind im Krieg in dem Land an der Südspitze der arabischen Halbinsel keine Einzelfälle.

Ungefähr 100 medizinische Institutionen sind seit dessen Ausbruch im März laut der Weltgesundheitsorganisation beschädigt oder völlig zerstört worden. Mehr als 600 Einrichtungen mussten geschlossen werden. Mehr als 15 Millionen Menschen leben derzeit ohne Gesundheitsversorgung. Das Gesundheitssystem stehe vor dem Zusammenbruch, warnt die Weltgesundheitsorganisation.

In dem Krieg, in dem sich die saudische Luftwaffe und Milizen der Regierung mit Houthi-Rebellen und Teilen des immer noch von Ex-Diktator Abdallah Salah kontrollierten Sicherheitsapparats seit fast zehn Monaten bekämpfen, werde die „Neutralität der medizinischen Einrichtungen nicht respektiert“, stellt Kedir Omar, Chef des Internationalen Roten Kreuzes im Jemen, fest. Mit Absicht werde auf medizinische Einrichtungen gezielt und an manchen belagerten Orten auch der Nachschub mit Medikamenten blockiert, klagt er.

GPS-Daten waren bekannt

Gleich dreimal wurden in den vergangenen Monaten Einrichtungen zerstört, in denen auch medizinisches Personal der Organisation Ärzte ohne Grenzen zur Zielscheibe wurde. Das letzte Mal am 11. Jänner. Mehrere Gebäude des Shiara-Krankenhauses im Bezirk Razeh im Nordjemen wurden zerstört. Mindestens vier Menschen starben, zehn wurden verletzt. Unter den Verletzten sind auch drei Mitarbeiter der Hilfsorganisation. Nach Angaben des Personals vor Ort traf ein Geschoss das Krankenhaus, in dem Ärzte ohne Grenzen seit November 2015 tätig ist. Wer es abgefeuert hat, ist unklar. Zur Zeit des Angriffs wurden aber Flugzeuge über dem Gebäude gesichtet – und sie haben vermutlich zur saudisch geführten Militärkoalition gehört, die Luftangriffe im Jemen fliegt.

Das Bombardement in Razeh ist bereits das dritte auf eine durch Ärzte ohne Grenzen unterstützte Einrichtung im Jemen innerhalb der letzten drei Monate. Im Oktober war das Krankenhaus Haydan bei einem Luftangriff durch die von Saudiarabien geführte Koalition zerstört worden. Am 3. Dezember wurde ein Gesundheitszentrum in Taiz ebenfalls von der Koalition getroffen; dabei wurden neun Menschen verletzt, heißt es in einer Erklärung von Ärzte ohne Grenzen.

Dass die Einrichtungen den Kriegsparteien nicht bekannt waren, ist eher ausgeschlossen. „Die Orte, in denen wir arbeiten – egal ob Krankenhäuser oder kleinere medizinische Einrichtungen – sind bekannt. Wir informieren alle Kriegsparteien mit GPS-Daten darüber“, erklärt die in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa stationierte Ärztin Reem Djera der „Presse“ am Telefon. „Wir ersuchen, diese Orte zu respektieren und erklären, dass wir dort medizinische Dienste leisten.“ Djera koordiniert von Sanaa aus die Projekte der NGO im Norden des Landes. Auch wenn beim letzten Angriff auf eine Einrichtung von Ärzte ohne Grenzen nicht endgültig geklärt ist, wer dahintersteckt, hat die Organisationen in den ersten beiden Fällen direkt die saudische Koalition verantwortlich gemacht.

Selbst ohne die ständigen Angriffe auf medizinische Einrichtungen ist die Arbeit der Ärzte im Jemen schwer. Durch die Blockade sind manche Medikamente Mangelware geworden, etwa Insulin und Medikamente zum Regeln des Blutdrucks. Manchmal sei es auch nicht einfach, Diesel aufzutreiben, um die Stromgeneratoren der Krankenhäuser am Laufen zu halten, sagt Ärztin Djera. Viele Familien hätten durch den Krieg ihr Einkommen verloren. „Wir haben in unseren Projekten definitiv ein Ansteigen der Rate unterernährter Kinder festgestellt“, schildert sie.

Säuglinge ohne Sauerstoff

Besonders tragisch ist die Lage in der Stadt Taiz, die von den Houthi-Rebellen belagert wird. Nach den Angaben von Djera gingen den Spitälern regelmäßig die Sauerstoffvorräte aus. „Es sind Fälle bekannt, in denen Säuglinge deswegen in den Brutkästen gestorben sind“, sagt die NGO-Mitarbeiterin.

Vergangenen Dezember versuchten die Kriegsparteien, sich auf einen Waffenstillstand zu einigen und trafen sich zu Friedensgesprächen in der Schweiz. Die Verhandlungen scheiterten.

Gerade mit den neuerlichen regionalen Spannungen zwischen Saudiarabien und dem Iran ist ein Ende des Kriegs im Jemen nun wieder in weite Ferne gerückt. In der Nacht von Samstag auf Sonntag, als in Wien der Atomstreit beigelegt und die internationalen Sanktionen gegen den Iran aufgehoben wurden, flog die saudische Koalition ein Dutzend Luftangriffe auf Sanaa und Umgebung. Ein jemenitischer Tweet kommentierte trocken: „Während die Iraner feiern, lassen die Saudis in ihrem Ärger jetzt im Jemen Dampf ab.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2016)

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