Bei seinem Peking-Besuch blitzte US-Außenminister Kerry mit Forderungen nach scharfen Nordkorea-Sanktionen ab. China will eine Destabilisierung des Kim-Regimes verhindern.
Wie groß die Differenzen zwischen Washington und Peking in der Nordkorea-Politik sind, stand am Mittwoch US-Außenminister John Kerry und seinem chinesischen Amtskollegen, Wang Yi, nach ihrem fünfstündigen Gespräch ins Gesicht geschrieben: Während Kerry in Peking mit finsterer Miene vor Journalisten über die Untaten des nordkoreanischen Regimes und die Bedrohung angesichts des jüngsten Atomtests sprach, trommelte Wang mit seinen Fingern nervös auf dem Redepult.
„Kim Jong-uns Taten sind rücksichtslos und für die ganze Welt gefährlich“, sagte Kerry. „Wir werden alles tun, um die Menschen in unserem Land und unsere Freunde zu beschützen“. Er pochte auf schärfere UN-Sanktionen (offenbar drängt Washington auf ein Ende der Ölexporte). Und überraschend direkt forderte er Peking auf, mehr Druck auf seinen Alliierten auszuüben: „China hat mit seinen engen Beziehungen zu Nordkorea eine besondere Fähigkeit, bei der Lösung des Problems zu helfen.“
Wang sieht das offensichtlich anders. Er sprach sich zwar auch für eine neue Nordkorea-Resolution aus, deutete aber an, dass die UN-Vetomacht China keiner massiven Verschärfung zustimmen werde: „Sanktionen sind kein Selbstzweck“, sagte er. Das Ziel müsse sein, Nordkorea wieder an den Verhandlungstisch zu bringen.
Atombomben und Girlbands
Seit dem nordkoreanischen Atomtest am 6. Jänner ist der Ton zwischen den Erzrivalen USA und China noch rauer geworden: Beide schieben einander die Schuld für die Bedrohung aus Nordkorea in die Schuhe. Die USA sind davon überzeugt, dass die Chinesen mehr tun könnten, um Kim zur nuklearen Abrüstung zu zwingen: Immerhin ist China der wichtigste Alliierte Nordkoreas, das stalinistische Land ist von Pekings Energie- und Nahrungsmittellieferungen abhängig.
Tatsächlich scheinen die atomaren Drohgebärden von Diktator Kim Jong-un das Regime in Peking massiv verärgert zu haben. Offenbar wurde China diesmal vom Test überrascht. Einige Beobachter gehen sogar davon aus, dass Kim damit eine trotzige Machtdemonstration gegenüber China inszenieren wollte: Seit dessen Machtantritt 2011 sind die Beziehungen stark abgekühlt. Für Spannungen sorgte die Hinrichtung von Kims Onkel, Jang Song Thaek, der jahrelang die Kommunikation zu Peking gepflegt hatte. Bezeichnend ist, dass der junge Diktator noch nie von Chinas Staatschef, Xi Jinping, empfangen wurde, der offenbar Kim verachtet. Als Peking im Dezember kurzfristig das Konzert der nordkoreanischen Girl-Popband Moranbong absagte, weil diese in ihren Liedern das Atomprogramm pries, fühlte sich Kim persönlich gedemütigt: Am selben Tag verkündete er, eine Wasserstoffbombe ins Atomarsenal aufgenommen zu haben.
Doch Kim weiß, dass er bei Peking sehr weit gehen kann – obwohl China alle Mittel dazu hätte, den kleinen Nachbarn in die Knie zu zwingen. Aber: „Die chinesische Führung steht vor einem Dilemma. Einerseits will sie Pjöngjang für den jüngsten Test bestrafen, sie hat ein strategisches Interesse an einer denuklearisierten nordkoreanischen Halbinsel“, analysiert Moritz Rudolf vom Mercator Institute for China Studies in Berlin. „Anderseits will man in Peking, dass Nordkorea stabil bleibt: Die Angst ist groß, dass bei einer Destabilisierung massenhaft Flüchtlinge nach China kommen könnten.“ Der Experte ist überzeugt, dass Peking zurückhaltend reagieren wird: Verbale Drohgebärden könnten sich verstärken, Peking werde versuchen, bestehende diplomatische Kanäle zu nützen, um mit Nordkorea zu verhandeln, so Rudolf. Denkbar seien verstärkte Kontrollen im Grenzgebiet. Doch einer massiven Verschärfung der UN-Sanktionen, wie es die USA fordern, werde Peking nicht zustimmen: „China wird vielleicht etwas an den Daumenschrauben drehen, aber mit Maß: Wichtig ist Peking, dass Nordkorea stabil bleibt.“
Der Konflikt droht den Machtkampf der Großmächte anzuheizen: Laut „New York Times“ will Washington nun seine Nordkorea-Sanktionen verschärfen – und China treffen. Demnach sollen Länder, die Handelsbeziehungen zu Nordkorea pflegen, bestraft werden. Rudolf sieht auch einen Zusammenhang mit der Krise im Südchinesischen Meer: Im Vorfeld des Peking-Besuchs hat sich Kerry intensiv um Laos bemüht, das politisch und wirtschaftlich eng mit China verbunden ist. „Das hat Peking verärgert und keine gute Basis für Nordkorea-Gespräche geschaffen.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2016)