Ein zorniges Amerika wählt

Presidential Candidate Donald Trump Holds Event To Benefit Veterans Organizations
Presidential Candidate Donald Trump Holds Event To Benefit Veterans Organizations(c) Bloomberg (Patrick T. Fallon)
  • Drucken

Quer durch das Meinungsspektrum sind die Menschen verärgert über die Lage der Nation. Das erklärt den erstaunlichen Zuspruch für Populisten Donald Trump und Bernie Sanders.

Washington. An einem eisigen Jännermorgen steht Lars Johnson in einem Pub in Waukon, einem Weiler im Nordosten von Iowa, und er macht aus seinem Herzen keine Mördergrube: „Ich mag Donald Trump. Man kann einfach nicht Tausende Mexikaner ins Land hereinlassen und ihnen erlauben, dass sie das nehmen, was uns gehört“, sagt der 73-Jährige, der wie eine fittere Version von Oskar Lafontaine aussieht, zur „Presse“. Vor 20 Jahren sei es den Menschen besser gegangen. „Damals liefen die Dinge wie geschmiert, die Leute hatten Geld. Aber das verstehen die Schwachköpfe in New York nicht.“

Zwei Wochen später und knapp 2300 Kilometer weiter östlich erklärt die Schülerin Aasha Russell in New Hampshire in der Lobby des Radisson-Hotels von Nashua, was sie an Bernie Sanders toll findet: „Ich bin dafür, die staatlichen Pensionen zu erhöhen. Ich interessiere mich nicht wirklich für Politik, aber ich mag sozialistische Kandidaten.“

(c) Die Presse

Die junge Linke aus Neuengland und den alten Rechten aus dem Mittleren Westen eint, bei allen Unterschieden, eine Sache: der Ärger über den politischen und wirtschaftlichen Stand der Dinge in den USA. Wenn es ein Leitmotiv der heurigen Wahlsaison gibt, die am Montag mit dem Caucus in Iowa beginnt und am 8. November mit der Präsidentenwahl enden wird, dann ist es tiefer Zorn.

Ärger beiderseits – aber worüber?

Quer durch die Gesellschaft zieht sich der Unmut der Amerikaner. „62 Prozent sagen, dass die meisten ihrer Mitbürger einfach verärgert über Washington sind“, sagte Patrick Murray, der Leiter des parteiunabhängigen Monmouth University Polling Institute, diese Woche. 72 Prozent der Republikaner, 56 Prozent der Demokraten und 61 Prozent der Unabhängigen meinen, dass die Amerikaner sauer sind. „Beide Seiten sind zornig, aber sie sind über verschiedene Dinge zornig, und es ist nicht klar, wie Washington reformiert werden kann, wenn sich die Demokraten und Republikaner nicht einmal darauf einigen können, was das Problem ist.“

Fragt man republikanische Parteigänger, und hört man ihren Kandidaten zu, ist die Antwort klar: „Präsident Barack Obama hat die USA in seinen acht Jahren wirtschaftlich und moralisch heruntergewirtschaftet und sein Ansehen als einzige Supermacht der Welt beschädigt. Niemand nimmt uns mehr ernst, Obama hat das Militär geschwächt“, hört man von rechts ständig. Dass sich die Arbeitslosenrate seit Obamas Amtsantritt halbiert hat und nun auch die Realeinkommen wieder zu steigen beginnen, ficht sie nicht an, ebenso wenig, dass unter Obamas Führung der Terroristenpate Osama bin Laden und zahlreiche weitere führende Jihadisten ausgeschaltet wurden.

Demokraten wiederum beklagen Tricks und Sabotageaktionen, mit denen die Republikaner Obamas Vorzeigeprojekt, die Krankenversicherungspflicht des Affordable Care Act (vulgo Obamacare), abzuschaffen versuchen, den Frauen das verfassungsgerichtlich garantierte Recht auf Abtreibung nehmen wollen, Sozialhilfen beschneiden, strengere Kontrollen von vorbestraften und gewalttätigen Waffenkäufern verhindern und einer stärkeren Besteuerung der Konzerne und Banken im Weg stehen.

Beiderseits des ideologischen Grabens ist der Wille zum Kompromiss zerrieben; man spitzt überrascht die Ohren, wenn der Gouverneur von Ohio, John Kasich, als einziger republikanischer Kandidat dazu aufruft, den politischen Gegner nicht zu dämonisieren, „weil wir ihn brauchen“.

Es geht um Obamas Vermächtnis

Und somit erklärt sich, wieso der politisch unerfahrene 69-jährige Selbstvermarkter Donald Trump und der 74-jährige Senator Bernie Sanders, der sich selbst stolz als Sozialist bezeichnet und im Senat stets ein unbedeutender Hinterbänkler ohne politische Macht war, die Unzufriedenheit in erstaunlich starke Umfrageergebnisse ummünzen.

Erfahrene Demoskopen und Politikforscher warnen zwar davor, der Unzahl an oft schlampig erstellten Umfragen zu viel Bedeutung beizumessen. Eines wird aber klar, wenn man mit Republikanern und Demokraten spricht: Bei dieser Wahl geht es nicht um eine revolutionäre Umwälzung, wie sie auf ihre Weise sowohl Trump als auch Sanders verheißen, sondern um das politische Vermächtnis der Obama-Präsidentschaft.

Wird ein Republikaner nächster Präsident, sind Obamacare und das Nuklearabkommen mit dem Iran seine größten Angriffsziele. Umgekehrt wird der demokratische Hausherr im Weißen Haus (oder, falls sich Hillary Clinton durchsetzt, die Hausherrin) diese Errungenschaften Obamas mit Zähnen und Klauen verteidigen.

Obama selbst hat weder Clinton noch Sanders offen unterstützt. Doch wer mit seinen Mitarbeitern spricht, erkennt: Sie stehen hinter Hillary Clinton, weil sie ihr im Gegensatz zu Sanders das Geschick im Umgang mit den republikanischen Mehrheiten in den beiden Kammern des Kongresses zutrauen.

Doch beharrliche Sachpolitiker, die, um Max Weber zu zitieren, mit Leidenschaft und Augenmaß dicke Bretter bohren, haben es heuer schwer. „Wie gewinnt man als politischer Realist, wenn die Realität der Politik so düster ist?“, fragte der Journalist Ezra Klein in einem am Donnerstag erschienenen Essay auf vox.com. Das trifft den Stand der Dinge.

Weitere Infos:www.diepresse.com/uswahl

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.