Massud Barzani, Präsident der nordirakischen Kurdenregion, kündigt ein Referendum an. Für eine Eigenstaatlichkeit brauchte er aber wohl das Plazet seines Alliierten Erdoğan.
Der Präsident der nordirakischen Kurdenregion hat versucht, möglichst klar zu sein und seine Worte trotzdem mit Bedacht zu wählen: „Die Zeit ist reif dafür, dass die Kurden in einem Referendum über ihre Zukunft entscheiden. Das Referendum bedeutet aber nicht die sofortige Ausrufung eines Staates“, sagte Massud Barzani laut kurdischem Nachrichtenportal Rudaw. Vielmehr gehe es darum zu erfahren, was die Kurden ersehnen. Und dieser Wunsch werde zum „geeigneten Zeitpunkt“ und unter den „geeigneten Umständen“ umgesetzt.
Kurdenpräsident Barzani bekräftigte also, dass die Reise weiter in Richtung Unabhängigkeit der irakischen Kurdenregion geht. Doch zugleich vermied er, einen konkreten Fahrplan festzulegen. Barzani will niemanden vor den Kopf stoßen – schon gar nicht den mächtigen Nachbarn Türkei.
In Iraks Verfassung nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein 2003 erhielt die Kurdenregion umfassende Rechte. Das Gebiet ist Teil des Irak. De facto agiert es aber wie ein eigener Staat. Es hat eine eigene Regierung, eigene Streitkräfte, unterhält eigene Wirtschaftsbeziehungen mit der Außenwelt. Über die Türkei exportiert die Kurdenregion Erdöl – zum Ärger der Regierung in Bagdad.
Verbündeter im Kampf gegen den IS
Die Kurdenregion galt lang als sicherer Hafen für internationale Investoren. Doch seit dem Angriff des Islamischen Staates (IS) ist der Wirtschaftsboom vorüber. Ausländische Geschäftspartner wurden verschreckt. Die Militärausgaben und die wachsende Zahl von Flüchtlingen belasten das Budget der Kurdenregierung. Zugleich verringert der niedrige Ölpreis die Einnahmen. Damit ist auch der Druck auf Barzani selbst gestiegen, dessen Amtszeit als Präsident eigentlich schon ausgelaufen ist, der aber weiterhin auf seinem Posten bleiben will.
Andererseits hat der Krieg gegen den IS die strategische Lage von Iraks Kurden verbessert. Ihre Peshmerga sichern beim Kampf gegen die Extremisten Gebiete, die bisher als umstrittene Regionen galten – etwa die Gegend um Kirkuk und die jesidischen Siedlungsgebiete in Sinjar. Darüber, ob diese Gebiete des Irak Teil der Kurdenregion werden, hätte noch entschieden werden sollen. Abstimmungen darüber wurden aber von Bagdad verschleppt. Nordiraks Kurden sind ein wichtiger Alliierter des Westens im Kampf gegen den IS. Zugleich gilt der Präsident der Kurdenregion als Verbündeter des türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan.
Grünes Licht aus Ankara würde Barzani wohl brauchen, will er seine Unabhängigkeitspläne umsetzen. Die türkische Regierung fürchtet nach wie vor, dass ein aus dem Irak herausgebrochener Kurdenstaat Vorbildwirkung für die Kurden in der Türkei haben könnte – gerade jetzt, da der Kampf gegen die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) wieder voll entbrannt ist. Zur Freude Ankaras würde Barzanis Projekt aber auch die Regierung in Bagdad schwächen, die – so wie der Iran – hinter Erdoğans Erzfeind, dem syrischen Machthaber Bashar al-Assad, steht.
Weitaus größeres Kopfzerbrechen als Barzanis Ambitionen bereiten Erdoğan die selbst verwalteten Kantone in Nordsyrien, wo vor allem Kurden wohnen. Denn dort ist eine Schwesterpartei der PKK die dominierende Kraft. Die USA unterstützen Syriens Kurden gegen den IS. Im Osten von Syrisch-Kurdistan soll sogar ein Flughafen für die US-Truppen ausgebaut werden.
Auch Barzani sieht das Autonomieprojekt in Syriens Kurdengebieten mit gemischten Gefühlen. Denn die PKK und ihre Schwesterorganisationen sind seine Rivalinnen. Das verbindet seine Interessen mit denen Ankaras. Die Zeichen könnten für Barzani also günstig stehen, doch noch die Zustimmung der Türkei für seine Unabhängigkeitspläne zu erhalten.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2016)