Pegida: „Rhetorische Schranken gefallen“

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Bei der in Dresden entstandenen Protestbewegung ist eine zunehmende Verrohung zu erkennen, sagt der Politologe Hans Vorländer, der eine Studie dazu verfasst hat.

Die Presse: Wer ist der typische Pegida-Anhänger?

Hans Vorländer: Es sind 75 bis 80 Prozent Männer. Wir haben ein Übergewicht der 45- bis 65-Jährigen. Und wir haben es keineswegs nur mit Hartz-IV-Empfängern und Arbeitslosen zu tun. Auch nicht nur mit Rechtsextremen und Hooligans. Wir haben auch Leute mit einer guten Einkommenssituation.


Eine Erkenntnis Ihrer Studie ist, dass Pegida nicht rechtsextrem ist – wie lässt sich das argumentieren?

Wir müssen unterscheiden zwischen Rednern und Teilnehmern. Gerade Tatjana Festerling ist hart an der Grenze zu rechtsextremen und rassistischen Äußerungen. Und sie verstärkt Ängste. Das sind Mechanismen, die man in rechtspopulistischen und rechtsextremen Kreisen findet.


Wo verläuft da die Grenze?

Die verläuft fließend. Es gibt Gruppierungen, die den Hooligans zuzurechnen sind, neonazistische Subkulturen, die NPD. Aber es gibt auch viele Teilnehmer, die nicht rechtsextreme Einstellungen aufweisen. Die sind motiviert von Unbehagen und Unzufriedenheit gegenüber Politik und Medien. Sie üben jetzt auch harsche Kritik an der Flüchtlingspolitik. Bei den Reden wird auch zum Umsturz aufgerufen, der Augiasstall müsse ausgemistet werden. Das ist schon eine revolutionäre Umsturzrhetorik.


Wie sehr ist auch Wille zur Gewalt dabei?

Die Grenzen zwischen rhetorischer und physischer Enthemmung verschwimmen. Es wird nicht direkt zur Gewalt aufgerufen. Aber es wird bewusst in der Schwebe gehalten. Aus der Gruppe der Pegida-Teilnehmer wurde wenig Gewalt ausgeübt, es gab am Rande Übergriffe gegen Journalisten, aber es gab keine Massengewalt.


Wie passt da ein Galgen für die Bundeskanzlerin dazu?

Die gleiche Attrappe gab es auch auf der TTIP-Demonstration in Berlin, da hat sie für weniger Aufsehen gesorgt. Ich will das nicht verniedlichen, aber ich würde es nicht als Aufruf zur Gewalt sehen. So weit lässt es sich auch juristisch nicht treiben, weil die Meinungsfreiheit auch noch solche Dinge zu akzeptieren bereit ist.


Ist die Verrohung seit Beginn kontinuierlich gestiegen?

Gerade gegenüber Asylbewerbern sind die rhetorischen Schranken gefallen, da sind die Redner fast schon volksverhetzend. Das wird auch staatsanwaltlich untersucht, da gibt es Grenzüberschreitungen.


Und wie viel von dem, was die Redner sagen, kommt bei den Teilnehmern überhaupt an?

Von vielen Teilnehmern hört man Sorgen, aber gleichzeitig muss man fragen, warum sie sich von dieser harten Rhetorik nicht distanzieren. Sie sagen dann, sie haben keine andere Plattform, Pegida ist quasi ein eingeführtes Format für den Protest. Und die politischen Benimmregeln in Ostdeutschland sind anders als in Westdeutschland, da ist man eher bereit, die Schärfe im Ton zu akzeptieren. Und viele Teilnehmer kommen auch hin, hören den Rednern indes kaum zu.


Aber Distanzierung ist das noch keine.

Daraus eine Distanzierung abzuleiten, wäre zu viel. Als Akif Pirinçci im Oktober eine unerträgliche Hetzrede hielt, haben einige Teilnehmer gepfiffen und sind gegangen. Aber das war das einzige Mal, dass sie sich lautstark distanziert haben.


Ist die Demo dann vor allem ein Ventil zum Frustablassen?

So kann man das sagen, das ist wie ein Stammtisch auf der Straße. Das hat auch damit zu tun, dass es den Menschen an anderen Äußerungsformen, etwa in Vereinen, mangelt.


Wo liegen die Unterschiede von Dresden zu Pegida-Ablegern in anderen Städten?

Alle Ableger sind in der Regel von rechtsextremen Gruppierungen organisiert und getragen. Das gibt es in Dresden nicht. Insofern sind die Versuche rechter Gruppierungen, Pegida zu instrumentalisieren, in Dresden bislang relativ erfolglos gewesen.

Wie sollen Politik und Öffentlichkeit mit der Pegida umgehen?

Mit denjenigen, die wirklich dialogbereit sind, muss man den Dialog aufrechterhalten oder weiterführen. Mit den Verweigerern, Neonazis oder Rechtsextremen kann man keinen Dialog führen.


Also muss man manche Gruppen einfach verloren geben?

Ja, es hat keinen Sinn, mit Hooligans und Neonazis in Gespräche einzutreten. Die wollen keinen Dialog, sondern die derzeitige Situation instrumentalisieren. Es gibt den Kampf rechter Gruppierungen um die Vorherrschaft: NPD, Neonazis, die Rechte, Widerstand, die Neue Rechte, der Identitäre Block, Pegida und AfD. Es ist nicht unwichtig als Hintergrund, das auch zu sehen. Weil manche versuchen, aus der Verschärfung der Rhetorik ihren politischen Profit zu ziehen.

Zur Person

Hans Vorländer (geb. 1954) ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der TU Dresden. In einer aktuellen Studie beschäftigte er sich mit dem Phänomen der Protestbewegung Pegida.

Buch: „Pegida. Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung einer Empörungsbewegung“ von Hans Vorländer, Maik Herold, Steven Schäller; Springer VS Verlag, 165 S.; 25,69 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2016)

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