Ein UN-Gremium sieht den Gründer der Enthüllungsplattform „willkürlich in Haft“. Der Australier inszenierte sich als Gewinner. Doch es ändert sich nichts: Er bleibt im Botschaftsexil.
London/Wien. Den Auftritt hatte Julian Assange sorgfältig inszeniert. Im Frontline Club in London hatten seine Anwälte am Freitag vor den Journalisten den Boden schon bereitet, von einem „überwältigenden Sieg“ des WikiLeaks-Gründers gesprochen, ihn als „Opfer eines juristischen Fehlurteils“ und „mentaler Folter“ bedauert. Dann die Liveschaltung zu Assange in die Vertretung Ecuadors in London.
Die Botschaftsräume hat der 44-Jährige seit dreieinhalb Jahren nicht verlassen – aus Angst, festgenommen zu werden. Es gibt einen Europäischen Haftbefehl gegen ihn, weil Schweden wegen einer mutmaßlichen Vergewaltigung ermittelt. Jetzt, da ein UN-Expertengremium ihm den Rücken gestärkt und den selbst auferlegten Hausarrest als „willkürliche Inhaftierung“ gebrandmarkt hat, erwarteten Medien aus aller Welt die Antwort auf die Frage: Und was nun – wird Assange die Botschaft verlassen?
Diese Antwort blieb der Australier vorerst schuldig, der in blauem Hemd, schwarzem Sakko und kleinkarierter Krawatte vor einem Hintergrund saß, auf dem dutzendfach die Internetadresse seiner Seite „Gerechtigkeit für Assange“ prangte. Stattdessen forderte er Schweden und Großbritannien auf, die Entscheidung der UN-Arbeitsgruppe, die sich um willkürliche Haft kümmert, umzusetzen und ihn freizulassen – sonst werde das internationale Ansehen der beiden Staaten beschädigt. Das UN-Urteil sei ein „Sieg, der mir ein Lächeln ins Gesicht gebracht hat“.
Erst später stellten seine Anwälte nach mehreren Nachfragen der Journalisten klar: Assange bleibt in der Botschaft. Was also ändere die UN-Entscheidung?, wollte eine Reporterin wissen. Anwältin Melinda Taylor konstatierte einen Verlust der moralischen Autorität beider Länder: Nie wieder könnten Schweden und Großbritannien andere Staaten glaubhaft dafür kritisieren, willkürlich Aktivisten einzusperren.
Wenige Stunden zuvor hatte die fünfköpfige, zum Menschenrechtsrat gehörende UN-Arbeitsgruppe festgestellt, sie sehe „die verschiedenen Formen der Freiheitsberaubung, denen Julian Assange ausgesetzt wurde, als eine Form der willkürlichen Inhaftierung an“. Assange hatte das Gremium angerufen.
„Offen gestanden lächerlich“
Die Entscheidung fiel allerdings nicht einstimmig, was ungewöhnlich ist: Ein Mitglied wollte das Festsitzen Assanges in der Botschaft nicht als Haft definieren. Eine weitere Expertin enthielt sich bei der Entscheidung aufgrund ihrer australischen Staatsbürgerschaft. Rechtlich bindende Wirkung hat die Einschätzung ohnehin nicht. In der Praxis dürfte sich daher vorerst kaum etwas ändern.
Der britische Außenminister, Philip Hammond, wählte ungewöhnlich scharfe Worte: Das UN-Urteil sei „offen gestanden lächerlich“. Das Gremium bestehe nicht aus Juristen, sondern Laien. Und Assange entziehe sich lediglich der Justiz. Assange schoss zurück: Diese Aussagen seien eines Außenministers nicht würdig. Doch Fakt dürfte nach wie vor sein: Wenn Assange die Botschaft verlässt, wird er festgenommen und nach Schweden überstellt. Das schwedische Außenamt teilte mit, Assange habe sich freiwillig entschieden, in der Botschaft zu bleiben. „Die schwedischen Behörden haben keinen Einfluss auf seine Entscheidung, dort zu sein.“ Die Staatsanwaltschaft in Stockholm gab bekannt, das UN-Papier habe keine Auswirkung auf die laufenden Ermittlungen.
Schweden hat keine Anklage erhoben, möchte Assange zu den Vorwürfen aber befragen. Er wiederum fürchtet, von dort aus in die USA ausgeliefert zu werden. Dieses Argument bezeichnete der Strafrechtsexperte Martin Heger in der ARD als „Legende“. Eine Auslieferung hätten die USA schon jetzt von Großbritannien verlangen können. Auch in Schweden soll kein solches Ansuchen eingegangen sein. Im Dezember hatte sich Stockholm mit Ecuador darauf geeinigt, Assange in der Botschaft in London zu befragen. Dem wollen dessen Anwälte nun aber offenbar nicht mehr zustimmen. Bei einer illegalen Haft, argumentierten sie am Freitag, gebe es dafür keine Grundlage.
Auf einen Blick
Die UN-Arbeitsgruppe zu willkürlichen Inhaftierungen schätzt den Verbleib von WikiLeaks-Gründer Julian Assange in der Botschaft Ecuadors in London als willkürliche Haft ein. Dieser fordert nun seine Freiheit, bleibt aber in der Botschaft, um einer Verhaftung durch die britische Polizei zu entgehen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2016)