Clinton spürt Sanders' Atem im Nacken

Democratic U.S. presidential candidate Hillary Clinton speaks at the 2016 McIntyre-Shaheen 100 Club Celebration in Manchester, New Hampshire
Democratic U.S. presidential candidate Hillary Clinton speaks at the 2016 McIntyre-Shaheen 100 Club Celebration in Manchester, New Hampshire REUTERS
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Hillary Clinton dürfte die Vorwahl in New Hampshire gegen Bernie Sanders verlieren. Seine Kritik von links zwingt sie, sich im Wahlkampf als erfahrene Pragmatikerin zu präsentieren.

Es ist ein strahlend sonniger Jännermorgen in Rochester, einer 29.000-Einwohner-Stadt in New Hampshire, rund eineinhalb Stunden nördlich von Boston, und Hillary Clinton hat soeben das schönste Geschenk des Tages in Form einer Huldigung erhalten. „Sie sind meine Eleanor Roosevelt!“, jubelt ihr eine Dame in dem mit rund 500 Menschen vollgepackten örtlichen Theater zu. Dann stellt sie diese Frage: „Was werden unsere Kinder eines Tages noch über Ihre Präsidentschaft sagen, außer, dass Sie unsere erste Präsidentin waren?“ Clintons Antwort bringt ihre Stärken als Wahlkämpferin gleichermaßen auf den Punkt wie ihre Schwächen: „Ich möchte, dass die Menschen das Gefühl haben, dass ich aus der Blase des Weißen Hauses herauskomme, dass ich ihnen zuhöre, dass sie eine Präsidentin haben, die sie wertschätzt und sich um sie kümmert. Ich will, dass mehr Amerikaner das Gefühl haben, dass wir gemeinsam im selben Boot sitzen.“

Wenn man im selben Raum wie Clinton sitzt und dies hört, klingt es aufrichtig, auch für unvoreingenommene Ohren. „Sie wirkte authentisch“, sagt Ted, ein Restaurantbesitzer aus Dover, im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Er ist eigens für diese Wahlkampfveranstaltung Clintons nach Rochester gefahren, weil er noch unschlüssig ist, ob er am 9. Februar bei der Vorwahl in New Hampshire die frühere First Lady und Außenministerin a. D., Clinton, ankreuzen soll oder Bernie Sanders, den sozialistischen Senator aus dem benachbarten Vermont.

Doch gefiltert durch Facebook, Twitter und die anderen neuen elektronischen Medien, mittels derer sich vor allem junge Menschen über Politik informieren, wirken Clintons Worte oft lauwarm, ohne Esprit und unehrlich. „Sie ist eine Lügnerin!“, skandierten junge Sanders-Anhänger vergangenen Montag in Iowa nach der knappen Niederlage ihres linken Helden gegen Clinton bei der dortigen Vorwahl.

Den Vorwurf, nicht mit dem nötigen Feuer um die Stimmen der Bürger zu werben, entkräftet Clinton Woche für Woche immer deutlicher. Auch Sanders' unausgesprochener Unterstellung, sie werde von den Wall-Street-Firmen bestochen, tritt sie nun entschieden entgegen. „Ich denke nicht, dass diese Attacken Ihrer würdig sind“, donnerte Clinton am Freitag in der letzten Fernsehdebatte vor der Wahl in New Hampshire. „Genug ist genug. Wenn Sie etwas zu sagen haben, dann sagen sie es.“ Sie warf Sanders eine „sehr kunstvolle Schmutzkübelkampagne“ vor und erklärte, „dass Sie keinen einzigen Fall finden werden, bei dem ich eine Ansicht oder mein Abstimmungsverhalten wegen irgendeiner Wahlspende geänderte hätte“.



Spendable Wall Street.
Doch der zweiteilige Vorwurf, erstens allzu bereitwillig Wahlspenden und Redehonorare von Banken und Fonds anzunehmen und zweitens nicht ehrlich damit umzugehen, bleibt an Clinton kleben. Das erklärt, wieso sie in New Hampshire in wenigen Monaten einen Umfragenvorsprung von rund 40 Prozentpunkten verloren hat und nun im Durchschnitt mehrerer Umfragen rund 20 Prozentpunkte hinter Sanders liegt.

Clinton wird in New Hampshire mit großer Wahrscheinlichkeit verlieren. Das kommt zwar weder unerwartet, noch deutet es einen landesweiten Umschwung zugunsten Sanders' an. Die Wähler dieses Staates schenken traditionell gern Kandidaten aus der neuenglischen Nachbarschaft ihr Vertrauen – doch weder Edmund Muskie (Maine, 1972) noch Paul Tsongas (Massachusetts, 1992) oder Howard Dean (Vermont, 2004) wurden demokratische Präsidentschaftskandidaten, obwohl sie in New Hampshire gewannen oder Zweiter wurden.

Doch Sanders' Aufruf zu einer „politischen Revolution“ kommt vor allem bei den Jungen sehr gut an. Sie mögen seine Fundamentalkritik am amerikanischen Wirtschaftssystem und der intransparenten Finanzierung der politischen Kandidaten, die enorme Wahlspenden anonym fließen lässt.

Clinton greift die Auswüchse eines unzureichend regulierten Finanzwesens zwar ebenso an, wie sie bei jeder Wahlkampfveranstaltung eine Kampagne für eine Verfassungsreform verspricht, die Voraussetzung für eine umfassende Regulierung der Wahlkampffinanzierung wäre. Doch für viele Wähler klingen diese Ansagen hohl. Denn sie kommen von einer Frau, die laut Untersuchung öffentlicher Register durch die „Washington Post“ in ihrer gesamten politischen Karriere seit dem ersten Wahlkampf um einen der beiden Senatssitze von New York 503,3 Millionen Dollar (450 Millionen Euro) an Spenden gesammelt hat. 44,1 Millionen Dollar davon kamen aus der Finanzwelt. Allein im heurigen Wahlkampf hat Clinton zum Stichtag 31. Dezember knapp 160 Millionen Dollar für ihren eigenen Kampagnenapparat und mit ihr verbündete Wahlkampfvehikel, sogenannte Super-PACs, lukriert. Knapp 14 Prozent von dieser Summe kamen von Banken, Versicherungskonzernen und Fondsgesellschaften.

Treue Weggenossinnen.
Angesichts der medial angeheizten Debatte darüber, ob Clinton, wie schon im Jahr 2008, von einem Außenseiter geschlagen wird, übersieht man leicht, wie groß ihr Zuspruch in weiten Kreisen der Partei ist. Historisch waren die Unterstützungserklärungen wichtiger Parteikollegen stets der beste Indikator, um eine Nominierung vorherzusagen; sie wählen auf dem Parteitag. Clinton hat bereits 466 solcher Unterstützer für sich gewonnen – dreimal mehr als alle republikanischen Kandidaten zusammen. Sanders hat derzeit zwei. Immer mehr ehemalige Kollegen von Sanders im Kongress melden sich nun mit scharfer Kritik zu Wort. „Ich erinnere mich nicht daran, dass er eine bedeutsame Rolle dabei gespielt hätte, die Gesundheitsversorgung oder Finanzregulierung in jene Richtung bewegt zu haben, als wir uns mit ihnen befassten“, schrieb der frühere Kongressabgeordnete Barney Frank, Namensgeber des im Jahr 2010 erlassenen Dodd-Frank Act zur Finanzmarktregulierung, dieser Tage in „Politico“.

Die treuesten Unterstützerinnen hat Clinton unter jenen Frauen, die ihren persönlichen Lebensweg aus dem konservativen Nachkriegsamerika hin zu einer offeneren Gesellschaft Schritt für Schritt mitgegangen sind. „Ich bin als Republikanerin in New Hampshire aufgewachsen, aber in den Achtzigerjahren bin ich Demokratin geworden, weil ich denke, dass die Demokraten sich um die Menschen kümmern“, sagt Martha Richards am selben Jännertag, einige Stunden später in einem Ballsaal in der 43.000-Einwohner-Stadt Concord, der Hauptstadt von New Hampshire. „Ich vertraue Hillary. Sie wird vom ersten Tag an bereit sein. Wir kennen Bernie, er ist sehr ehrlich. Aber er war 25 Jahre im Kongress, und er hat nicht besonders viele Gesetzesvorhaben eingeführt.“

Ihre Freundin Nancy Martland kennt Clinton seit fast fünf Jahrzehnten. „Ich war am Wellesley College, als sie dort studierte. Sie hat sich immer für die anderen Studentinnen eingesetzt, sie war eine Kraft für die Anliegen, die ich richtig finde. Die Hillary, die Sie heute sehen, ist eine direkte Nachfolgerin der Hillary von damals.“

Beim letzten Wahlkampftermin dieses Tages, in einer Sporthalle in Manchester, der mit 110.000 Einwohnern größten Stadt des Bundesstaates New Hampshire, ist Clinton heiser, sonst aber gut in Form. „Wir werden die Erneuerbare-Energie-Supermacht des 21. Jahrhunderts sein – und ich will, dass die jungen Leute fühlen, dass sie Teil davon sein werden.“

Ob der Appell ankommt, ist offen. Auf der Anzeigetafel über den Basketballkörben steht es 45:45.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2016)

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