Bosnien und Herzegowina blickt trotz Krise auf die EU

New York, Dragan Covic
New York, Dragan CovicSeth Wenig / AP / picturedesk.com
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Das gebeutelte Land auf dem Balkan will diese Woche den Antrag auf die EU-Mitgliedschaft einreichen.

Belgrad/Sarajevo. Selbst die Zweifel der heimischen Öffentlichkeit können den derzeit höchsten Vertreter in Bosniens Staatslabyrinth nicht beeindrucken. Am 15. Februar werde er in Brüssel den Antrag auf EU-Mitgliedschaft einreichen, bekräftigt Dragan Čović, der amtierende Vorsitzende des dreiköpfigen Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina. „Wenn wir weiter mit dieser Dynamik arbeiten, werden wir wahrscheinlich Anfang nächsten Jahres den Kandidatenstatus erhalten.“

Bosnien und Herzegowina sei „zurück auf der Reformspur“, hatte die EU-Kommission bei der Vorstellung ihres letzten Fortschrittsberichts über die Beitrittsanwärter im November hoffnungsvoll verkündet. Tatsächlich hatten alle politisch relevanten Kräfte und Institutionen des Vielvölkerstaats auf Druck Brüssels vor Jahresfrist die Selbstverpflichtung für eine „Reformagenda“ unterzeichnet, deren Umsetzung die EU-Annäherung beschleunigen sollte. Im Gegenzug für die mühsame Demonstration des guten Willens setzte die EU im Juli letzten Jahres schließlich das bereits 2008 unterzeichnete, aber wegen ausgebliebener Verfassungsreformen auf Eis gelegte Assoziierungsabkommen in Kraft.

Papier erweist sich auf dem Balkan zwar immer als sehr geduldig; doch trotz Fortschritten scheint das Ende von Bosnien und Herzegowinas Dauerbaustelle nicht in Sicht. Der von Sarajevo angekündigte Beitrittsantrag ist eher durch die Notwendigkeit vermeintlicher Erfolgsnachrichten angesichts der bevorstehenden Kommunalwahlen als durch tatsächliche Fortschritte motiviert. Denn selbst für gutwillige Beobachter gilt: Auf allen verschachtelten Ebenen des Staates kriselt und kracht es.

Arbeitslosigkeit kaum gesunken

Die Aussicht auf zusätzliche Mittel aus der Brüsseler Subventionsschatulle ließ Bosnien und Herzegowina im letzten Jahr zwar hektisch einige neue Arbeitsgesetze im Schnellverfahren durch das nationale und die Teilstaat-Parlamente peitschen. Doch laut einer Erhebung des Zentrums der zivilen Initiativen (CCI) ist selbst auf dem Papier gerade einmal ein Fünftel der in der Reformagenda und diversen Aktionsplänen zugesicherten Maßnahmen umgesetzt: Über 72 Prozent der gelobten Vorhaben sei noch nicht einmal beraten worden.

Vor zwei Jahren schien eine kurze, aber heftige Protestwelle das gebeutelte Land in seinen Grundfesten zu erschüttern. Doch trotz des Abtritts mehrerer Provinzfürsten in den Kantonen und eines Regierungswechsels in Sarajevo hat sich am tristen Zustand des Landes nichts geändert. Die Arbeitslosenrate liegt weiter bei über 27 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit gar bei 62 Prozent. Nur mit rasant steigender Verschuldung vermag das Land den Wasserkopf seiner aufgeblähten Verwaltung noch zu tragen.

Zu den von der Politik bewusst geschürten Dauerspannungen zwischen muslimischen Bosniaken, Kroaten und Serben gesellen sich auch in den Teilstaaten vermehrte Probleme. In der Republika Srpska bekriegen sich der lange unangefochtene Teilstaatspräsident, Milorad Dodik, und die Opposition seit Monaten bis aufs Messer. Im muslimisch-kroatischen Teilstaat der Föderation hat die jüngste Verhaftung des Medien-Tycoons Fahrudin Radončić, Chef der mitregierenden SBB, wegen des Verdachts der Justizbehinderung die Koalition unter Druck gesetzt. Sowohl auf Teilstaat- als auch auf nationaler Ebene drohen die bisherigen Regierungsbündnisse zu platzen. Statt der Beschleunigung der EU-Annäherung drohen dem gebeutelten Balkanstaat nur neue Hindernisse beim erhofften Weg aus der Dauerkrise.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2016)

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