Kanadas Flitterwochen mit Trudeau

Canada´s PM Trudeau arrives at a news conference in Ottawa
Canada´s PM Trudeau arrives at a news conference in Ottawa(c) REUTERS (CHRIS WATTIE)
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100 Tage im Amt. Premier Justin Trudeau erfreut sich weiter großer Beliebtheit bei den Bürgern. Bald muss er schwierige Debatten über Sterbehilfe und die Höhe des Budgetdefizits bestehen.

Ottawa. Kanadas Premierminister, Justin Trudeau, und seine Liberale Partei erfreuen sich 100 Tage nach Amtsübernahme weiterhin einer großen Popularität in der kanadischen Bevölkerung. Es scheint, dass die „Flitterwochen“, von denen Medien immer wieder sprechen, noch nicht beendet sind. Noch kommt sein Regierungsstil, der auf Dialog und Ausgleich setzt, gut an. Kanadas Innen- und Außenpolitik ändern sich. Der nächste große Einschnitt wird der erste Haushalt sein, den Trudeaus Finanzminister im Frühjahr vorlegen wird.

Ob auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, auf der Klimakonferenz von Paris oder beim G20-Treffen in der Türkei – Justin Trudeau schien auf jeder seiner zahlreichen Reisen, die er seit Amtsantritt am 4. November unternommen hat, ein Star zu sein. Er wurde umringt von Menschen, die ein Selfie mit ihm machen wollen, und war begehrter Gesprächspartner anderer Staats- und Regierungschefs, die den Nachfolger des eher spröde auftretenden früheren Premiers, Stephen Harper, kennenlernen wollten.

Der 44-jährige, jugendlich wirkende Regierungschef, Sohn des früheren Premierministers Pierre Trudeau, verkörpert, zusammen mit seiner Frau, Sophie, und seinen Kindern, Xavier, Ella-Grace und Hadrian, ein neues, verändertes Kanada. „Ist Kanada etwa plötzlich hip?“, fragte die „New York Times“. Trudeau hatte vor der Wahl vom 19. Oktober 2015, die den Liberalen die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament brachte, „Wandel“ versprochen. In vielen Bereichen sind die Änderungen gegenüber der konservativen Regierung zu sehen, endgültige Klarheit über Trudeaus Kurs aber besteht noch nicht.

„Menschen zusammenbringen“

Deutlich spürbar sind die „atmosphärischen“ Veränderungen. Trudeaus wichtigstes Versprechen war, „die Menschen zusammenzubringen“. Noch ist vieles nur symbolisch, mitunter wird Trudeau vorgehalten, mit seinen Reden über kanadische Werte verbreite er Plattitüden. Der Regierungsstil seines Vorgängers war oft von Konfrontation geprägt, etwa im Verhältnis zu den Vereinen der Ureinwohner oder zu Umweltschützern, die gegen Ölsand und Pipelines kämpften und als Radikale gebrandmarkt wurden. „Die Kanadier wählten eine Regierung, die uns zusammenbringen soll und die nicht die einen gegen die anderen ausspielt“, lautet Trudeaus Credo.

Anders als in der Vorgängerregierung sprechen Minister nun offen und häufig mit Journalisten, Maulkörbe für kritische Wissenschaftler in staatlichen Forschungseinrichtungen, denen der Zugang zu den Medien unter Harper erschwert wurde, gibt es nicht mehr. Trudeau gab seit Amtsantritt in Ottawa schon mehr Pressekonferenzen als Harper in den vergangenen vier Jahren. Kanadas Politik wirkt nicht mehr wie eine Einmannshow, die nur auf den Regierungschef zugeschnitten ist, die Regierung tritt als Team auf.

Ein Zeichen setzte Trudeau, indem er das erste paritätisch mit Frauen und Männern besetzte Kabinett bildete. Dann fuhr er mit mehreren Ministern, darunter die Ministerin für Umwelt und Klimawandel, Catherine McKenna, zur Pariser Klimakonferenz. „Wir sind wieder da“, verkündete er dort.

Nachdem Harper Kyoto aufgekündigt und Kanada Bremser im Klimaschutz war, will es nun eine aktive Rolle im Klimaschutz spielen. Wie Trudeau das schaffen wird, ist noch nicht klar. Denn Kanada will weiter Öl und andere Rohstoffe fördern. Der umstrittene Bau von Pipelines, die Öl aus Alberta an die Küsten bringen sollen, ist eine der großen Herausforderungen Trudeaus. Seine Regierung veranlasste, dass Projekte neu auf Umweltverträglichkeit überprüft werden, auch unter dem Aspekt der Emissionen. Die Konservativen werfen Trudeau vor, er blockiere den Bau wichtiger Ölinfrastruktur, übersehen dabei aber, dass Harper mit seiner einseitig auf Unterstützung der Ölindustrie und Schwächung der Umweltgesetze ausgelegten Politik den Widerstand gegen solche Projekte geradezu provoziert hat.

Kanadas Ölbranche leidet

Handeln ist dringend angesagt, denn der niedrige Ölpreis hat in den ölfördernden Provinzen zu erheblichen Einbrüchen auf dem Arbeitsmarkt geführt und ist landesweit in den Haushalten zu spüren. Im Wahlkampf hatte Trudeau bereits angekündigt, dass er ein Haushaltsdefizit von zehn Milliarden Dollar hinnehmen werde, um die Wirtschaft zu stützen und die Infrastruktur Kanadas aufzumöbeln. Die Konservativen, die nun Trudeaus Budgetpläne beklagen, hatten selbst Kanada 2008/2009 in ein tiefes Defizit geführt, um die Konjunktur anzukurbeln. Ökonomen fordern sogar ein höheres Defizit, um die Wirtschaft zu stützen.

In der Nahostpolitik ist Kanada zur früheren Tradition zurückgekehrt, nicht nur die Palästinenser zu kritisieren, sondern auch Israels Siedlungspolitik. Mit dem Iran sollen die unter Harper abgebrochenen diplomatischen Beziehungen wieder aufgenommen werden. Schwer zu vermitteln ist Trudeaus Politik gegenüber der Terrormiliz IS im Irak und in Syrien. Kanada hat einerseits beschlossen, Kampfjets zurückzuziehen und keine Luftangriffe mit Bombardements von IS-Stellungen zu fliegen. Andererseits verstärkt es die Ausbildung kurdischer und irakischer Kräfte. Das Versprechen, bis Ende 2015 bereits 25.000 Flüchtlinge aufzunehmen, konnte Trudeau nicht einhalten.

In zwei Bereichen wird Kanada innenpolitisch einen neuen Weg beschreiten: Die aktive Sterbehilfe wird gesetzlich geregelt, und der Marihuana-Konsum soll legalisiert werden, zudem steht eine Wahlrechtsreform an. Dies alles verspricht sehr emotionale Debatten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2016)

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