Türkei: Erdoğan spielt Tür auf und Tür zu nach Belieben

Recep Tayyip Erdoğan.
Recep Tayyip Erdoğan.(c) REUTERS (HANDOUT)
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Präsident Recep Tayyip Erdoğan droht damit, alle Flüchtlinge weiterziehen zu lassen, die in westlichen Ländern ihre Zukunft sehen. Gleichzeitig beweist er, dass er die Migrationswelle auch steuern kann. Zuletzt erschwerte er die Einreise für Iraker, Libyer und Syrer.

Istanbul. Er werde die syrischen Flüchtlinge nicht zum Verbleib im Land zwingen, sagte der türkische Staatspräsident, Recep Tayyip Erdoğan, und bewies den EU-Mitgliedern kurz vor ihrem Gipfeltreffen in Brüssel erneut, dass er nach Belieben die Grenze Richtung Griechenland öffnen und schließen kann. Wer in der Türkei Zuflucht suche, sei weiterhin willkommen, sagte Erdoğan. „Aber denjenigen, die weiterziehen wollen, um in westlichen Ländern eine Zukunft zu suchen, denen werden wir nichts entgegenhalten.“ Der türkische Machthaber richtete den EU-Staats- und Regierungschefs aus: „Es geht nicht mehr um Geld und Finanzierung, ohnehin hat die Europäische Union auch in dieser Sache ihr Versprechen noch nicht einhalten können.“ Es gehe um die sichere Zukunft für Millionen Menschen.

Gleichzeitig sorgt die türkische Führung dafür, dass zumindest der Strom von Nicht-Syrern gestoppt wird. Sie beweist, dass sie nach wie vor den Strom steuern kann. Bisher war eine Reise in die Türkei für Iraker ein Kinderspiel. Sie brauchten zwar ein Visum, doch das konnten sie sich ohne Probleme bei der Einreise in den Pass stempeln lassen. Jetzt hat Ankara wegen der steigenden Flüchtlingszahlen im eigenen Land und mit Rücksicht auf die Vereinbarung mit der EU die Notbremse gezogen: Seit Kurzem müssen Iraker vor der Reise zum türkischen Nachbarn ein Visum beantragen. Die Neuregelung hat sofort Wirkung gezeigt. „Jetzt gibt es lange Schlangen vor der türkischen Botschaft in Bagdad“, sagt ein türkischer Regierungsvertreter, der ungenannt bleiben möchte. Und in der Türkei kommen weniger Iraker an als bisher.

Gewalttäter unter Neuankömmlingen

Es gehe bei der Neuregelung auch um die Probleme, die Flüchtlinge der Türkei selbst bereiteten, sagte der türkische Generalkonsul im nordirakischen Erbil, Mehmet Akin Inam, vor Kurzem. Allein im vergangenen Jahr seien 160.000 Iraker in der Türkei geblieben, obwohl sie eigentlich wieder in den Irak hätten zurückkehren müssen. Auch die terroristische Bedrohung wachse, weil sich möglicherweise Gewalttäter unter die Neuankömmlinge mischten. Ankara hofft, potenzielle Extremisten bei der Prüfung der Visumanträge aussieben zu können.

Laut offiziellen Zahlen gewährt die Türkei derzeit rund 2,5 Millionen Syrern und etwa 200.000 Irakern Zuflucht. Viele der Flüchtlinge sehen die Türkei nur als Durchgangsstation auf dem Weg in den Westen. Im Rahmen der Vereinbarung mit der EU vom November über eine Senkung der Flüchtlingszahlen geht die Regierung in Ankara nun einen ähnlichen Weg wie Europa: Mit den neuen Visumbestimmungen, Einreisehindernissen und Rückführungen will sie für Flüchtlinge möglichst unattraktiv werden.

Mehrere Zehntausend syrische Flüchtlinge leben derzeit in Lagern auf der syrischen Seite der Grenze; in den vergangenen Wochen wurden nach Regierungsangaben insgesamt nur noch 7000 Syrer ins Land gelassen. Das hatte auch Folgen für die Weiterreise: Während der Anteil der Syrer unter den in Griechenland ankommenden Flüchtlingen seit Monaten sank, wuchs beispielsweise die Zahl der Iraker weiter an. Laut EU stellten die Syrer im September noch knapp 70 Prozent aller Flüchtlinge, die von der Türkei aus über die Ägäis nach Griechenland kamen, im Jänner aber nur noch 38 Prozent. Gleichzeitig nahm der Anteil der Iraker von acht auf 15 Prozent zu. Auch Flüchtlinge aus Afghanistan wurden häufiger gezählt: Ihr Anteil stieg von 18 auf 24 Prozent.

Insgesamt ist die Zahl der aus der Türkei nach Griechenland reisenden Flüchtlinge im Jänner auf etwa 2000 pro Tag gesunken, wobei das schlechte Wetter als wichtigster Grund gilt. Die Türkei hofft, die Zahlen weiter senken zu können. Auch Libyer und Syrer, die per Schiff oder Flugzeug aus Drittstaaten wie Jordanien oder Libanon einreisen, brauchen seit einiger Zeit Visa. Gleichzeitig will die Türkei ein bestehendes Abkommen mit Afghanistan nutzen, um Flüchtlinge dorthin zurückschicken zu können. Ein ähnliches Rückübernahmeabkommen, das die Rückkehr von Flüchtlingen aus Europa in die Türkei vorsieht, soll im Sommer auch zwischen der EU und der Türkei in Kraft treten – spätestens dann muss Ankara die entsprechenden Rückführungsverträge mit den Herkunftsländern dieser Migranten unter Dach und Fach haben. (ag./güs)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2016)

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