Brexit oder nicht- Die Zeit der Entscheidung

Briten-Premier Cameron vor Londons berühmtester Haustüre
Briten-Premier Cameron vor Londons berühmtester HaustüreREUTERS
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Der britische Premier Cameron kündigte für 23. Juni die Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft an und stellte sich an die Spitze der Befürworter.

Nach der nächtlichen Einigung mit den EU-Partnern drückt der britische Premierminister David Cameron mächtig aufs Tempo. Nach einer Sondersitzung der Regierung (der ersten an einem Samstag seit dem Falkland-Krieg 1982) kündigte Cameron in London die Volksabstimmung über die EU-Zukunft des Landes erwartungsgemäß für 23. Juni an und stellte sich an die Spitze der Befürworter: Großbritannien sei „sicherer, stärker und wohlhabender“ in der Union, betonte Cameron.

Auf ein derart eindeutiges Bekenntnis zur EU des Premiers hatten britische Befürworter der Mitgliedschaft seit Jahren gewartet. Cameron gelang es zudem, seine Minister auf eine gemeinsame Erklärung zu verpflichten: „Die Regierung hat der Empfehlung zugestimmt, dass Großbritannien Mitglied einer reformierten Europäischen Union bleibt.“ Die Vorlage wird bereits morgen, Montag, dem Parlament vorgelegt. Vor den Medien ergänzte Cameron: „Wir stehen vor einer der größten Entscheidungen unseres Lebens.“

Der Premierminister hatte kaum gesprochen, da setzte bereits die erwartete Spaltung seines Kabinetts in „In“- und „Out“-Befürworter ein. Als prominentester „Outer“ outet sich Justizminister Michael Gove: „Ich glaube, dass die EU-Mitgliedschaft uns daran hindert, große Teile unserer Gesetze selbst zu machen und wesentliche Entscheidungen selbst zu treffen.“ Als Gegner des EU-Verbleibs deklarierten sich auch die Minister Priti Patel, John Whittingdale, Chris Grayling, Iain Duncan Smith und Theresa Villiers.

Für Cameron hätte es aber schlimmer kommen können. Alle „Outer“ waren längst für ihre Positionen bekannt, außer Gove ist aber kein wirkliches Schwergewicht darunter. Gove gilt zwar als kritischer Denker, machte sich aber in seinem früheren Posten als Unterrichtsminister mit seinem „Kopf-durch-die-Wand“-Zugang bei Lehrern und Eltern so unbeliebt, dass er vor der letzten Wahl in einer Regierungsumbildung versteckt werden musste.

Theresa May für Verbleib. Zudem konnte der Premier mit Innenministerin Theresa May, Wirtschaftsminister Sajid Javid und Generalanwalt Jeremy Wright drei vermeintliche Wackelkandidaten auf seine Seite ziehen. May wiederholte Camerons Einschätzung, dass „Großbritannien in der EU sicherer ist“. Die in der Bevölkerung wegen ihres harten Kurses hoch angesehene Innenministerin gilt als potenzielle Nachfolgerin Camerons, der mit Ende der aktuellen Legislaturperiode 2020 aus der Politik ausscheiden will.

Ein anderer, der sich Hoffnungen auf die Schlüssel zu 10 Downing Street macht, ist der scheidende Londoner Bürgermeister Boris Johnson. Der „mit Abstand beliebteste Politiker und beste Wahlkämpfer der Konservativen“, so der Meinungsforscher Andrew Cooper, hält sich weiterhin bedeckt und versucht zu erkunden, woher und wohin der Wind weht. Während der rabiat-konservative „Daily Mail“ gestern die Vereinbarung von Brüssel als „lächerliche Farce“ zerriss, sprach der ultra-konservative „Daily Telegraph“ Cameron immerhin dafür „Anerkennung aus, dass nun die britischen Wähler das Wort haben“.

Um diese zu überzeugen, werden die Befürworter in den nächsten Monaten möglichst wenig über das Verhandlungsergebnis und möglichst viel über das größere Konzept von Großbritannien in der Welt reden. „Natürlich kann er jetzt nicht über den Schutz unserer Grenzen, Sozialleistungen oder Einwanderung sprechen“, sagte der frühere Europa-Staatssekretär Denis MacShane gestern der „Presse“ mit Blick auf die magere Vereinbarung. Stattdessen verkündete Cameron, er habe einen Sonderstatus seines Landes in der EU ausgehandelt. Großbritannien werde nicht den Euro einführen, nicht dem Schengen-Abkommen beitreten und sich an keiner EU-Armee beteiligen. Nichts davon stand jemals zur Debatte. Cameron hat also etwas erreicht, was längst der Fall war.

Das muss er nun verkaufen. Zusammen mit Cameron werden die Liberaldemokraten, die Scottish National Party, die walisische Plaid Cymru und die Grünen für den Verbleib in der Union werben. In den nächsten Tagen wollen 80 der 100 größten britischen Firmen einen gemeinsamen Pro-EU-Aufruf veröffentlichen. Eine derart drückende Übermacht der Eliten kann aber leicht nach hinten losgehen.

Der Deal

Sozialleistungen.
EU-Zuwanderern können Sozialleistungen im Notfall über vier Jahre lang reduziert werden.

Politische Souveränität.
Großbritannien muss keinen weiteren Integrationsschritt mitmachen.

Wirtschaftliche Souveränität.
Das Pfund wird als Währung neben dem Euro anerkannt, die Bankaufsicht der Euro-Zone darf in London nicht aktiv werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2016)

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