Reformer unter massivem Druck

Die Anhängerinnen des Reformlagers traten im Wahlkampf trotz Repressionen ganz offensiv auf.
Die Anhängerinnen des Reformlagers traten im Wahlkampf trotz Repressionen ganz offensiv auf.(c) REUTERS (TIMA)
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Vor den Parlamentswahlen am Freitag zündeten Fundamentalisten das Auto des führenden Reformkandidaten an. Die Hardliner siebten die Bewerber aus.

Kairo/Teheran. Der Wahlkampf war kurz und unspektakulär. Ganze sieben Tage hatten die Kandidaten Zeit, für sich zu werben. Kundgebungen unter freiem Himmel waren bis auf wenige Ausnahmen verboten, selbst die Maximalgröße der Werbeplakate war exakt vorgeschrieben. Am Freitag wählt das iranische Volk ein neues Parlament und obendrein einen neuen Expertenrat – ein seltenes Doppelereignis im politischen Leben der Islamischen Republik. Die 290-köpfige Volksvertretung amtiert die nächsten vier Jahre, der gleichzeitig gewählte 88-köpfige Expertenrat acht Jahre. Dieses Gremium hat das Recht, den obersten Revolutionsführer zu küren.

Was auf den ersten Blick aussieht wie eine makellose demokratische Prozedur, ist in Wirklichkeit ein stark manipuliertes Geschehen, bei dem viele Machtfragen schon vor dem öffentlichen Wahltag und hinter den Kulissen entschieden wurden. So disqualifizierte der sogenannte Wächterrat im ersten Anlauf etwa 60 Prozent der rund 12.000 Parlamentsbewerber. Bis auf 30 strich die von Ayatollah Ali Khamenei, dem obersten Führer, handverlesene Runde aus zwölf betagten Klerikern und Juristen sämtliche Reformer aus den Listen.

Wütende Attacke Rafsanjanis

Massud Namasi bekam die Einschüchterung hautnah zu spüren. Fundamentalisten zündeten am Mittwoch das Auto des Reformkandidaten in Schabestar im Westen des Landes an. Sie bedrohten zudem dessen Schwägerin mit dem Messer. „Damit du nie wieder auf den Gedanken kommst, gegen uns anzutreten“, lautete ihre Botschaft. Laut Umfragen liegt Namasi überlegen vor seinem Widersacher, der um die Wiederwahl bangt.

Präsident Hassan Rohani schwor, das Land politisch „auszumisten“ und zu reformieren. Erst eine öffentliche Intervention Rohanis und die Angst vor neuen Unruhen wie im Jahr 2009 erzwang ein gewisses Einlenken der Hardliner, sodass sie in letzter Minute noch 1500 Kandidaten nachnominierten. Führende Reformer und selbst die zweite Reihe des moderaten Lagers sind jedoch nach wie vor nicht unter den schließlich zugelassenen 6200 Parlamentsbewerbern.

Wütend attackierte Ex-Präsident Ali Akbar Rafsanjani diese dreisten Manipulationen: „Wer hat sie qualifiziert? Wer hat ihnen die Erlaubnis gegeben, über die Kandidaten zu urteilen? Wer hat sie autorisiert, sämtliche öffentlichen Foren zu besetzen, die Freitagspredigten, die Radio- und Fernsehstationen?“, polterte der 81-Jährige in bisher beispielloser Schärfe, eine Kritik, die erstmals auch eindeutig auf den Revolutionsführer Khamenei persönlich gemünzt ist.

Zusätzlich aufgebracht hat Rafsanjani auch die Kandidatenkür für den nächsten Expertenrat. Dieses Klerikergremium fristet normalerweise ein Schattendasein, könnte jedoch in der kommenden Amtszeit zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik den neuen Revolutionsführer küren. Denn der geistliche Staatschef, Ali Khamenei, ist 76 Jahre alt, er leidet an Prostatakrebs.

Doch auch hier wurden vom allmächtigen Wächterrat 639 der 800 Bewerber disqualifiziert, darunter Hassan Khomeini, der reformorientierte Enkel des Staatsgründers – angeblich wegen unzureichender theologischer Kenntnisse. Die Zahl der zugelassenen 161 Kandidaten, unter ihnen Rohani und Rafsanjani, ist so gering, dass das Votum in einer Reihe von Wahlkreisen zur totalen Farce wird, weil es keine Konkurrenten mehr gibt.

Appell Khatamis

Rohani versuchte, den innenpolitischen Schaden zu begrenzen und einen resignierten Boykott der Bevölkerung zu verhindern. „Wenn wir nicht wählen, werden wir auf jeden Fall verlieren“, hat der populäre Geistliche als Motto gegen die Hardliner ausgegeben und seinen Landsleuten empfohlen, weniger bekannte Reformkandidaten zu unterstützen, die durch das enge Kontrollnetz des ultrakonservativen Machtkartells durchgerutscht sind.

Der offiziell geächtete und mit einem totalen Medienbann belegte Reformpräsident, Mohammed Khatami, der den Iran von 1997 bis 2005 regierte, griff sogar zum Mittel einer YouTube-Botschaft, um für die Liste der Hoffnung der Reformer zu werben. Alle Bürger, die Fortschritte für den Iran wünschten und ein Ende von Drohungen und Einschränkungen, sollten für das Bündnis der Moderaten stimmen, plädierte er. Mit der Wahl von Rohani „ist 2013 der erste erfolgreiche Schritt gelungen. Jetzt muss mit dem Parlament der zweite Schritt folgen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2016)

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