Volksbefragung: Orbáns Schlacht gegen Flüchtlingsquoten

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán.(c) APA/AFP/ATTILA KISBENEDEK
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Die Regierung lässt überraschend die Wähler fragen, ob sie für oder gegen die im Rahmen der EU ausgehandelte Verteilung von Flüchtlingen sind. Das rechtlich unwirksame, aber symbolische Referendum hat nicht nur mit Flüchtlingen zu tun, sondern auch mit Innenpolitik.

Budapest. Niemand hatte es kommen sehen. Auch die erfahrensten ungarischen Journalisten waren überrascht, als Ministerpräsident Viktor Orbán am Mittwoch ein Referendum bekannt gegeben hat: Das Volk soll über die folgende Frage abstimmen: „Wollen Sie, dass die Europäische Union auch ohne Zustimmung des ungarischen Parlaments die verpflichtende Ansiedlung nicht ungarischer Staatsbürger in Ungarn vorschreiben kann?“

Das kann die EU natürlich schon jetzt. Im Rahmen etwa der Arbeitnehmerfreizügigkeit steht es nicht ungarischen EU-Bürgern frei, in Ungarn zu arbeiten und zu leben, und die EU kann die Regierung zwingen, das zu ermöglichen. Aber darum geht es natürlich nicht: Es geht um die auch von Österreich geforderte Umverteilung von Flüchtlingen in der EU. Im März soll darüber in Brüssel beraten werden.

Im Prinzip geht es dabei um eine Koalition der Willigen, also keine Zwangslösung für alle. Aber Länder wie Deutschland, Österreich, Italien und Holland haben klargemacht, dass sie sehr wohl längerfristig am Ziel einer Pflichtquote festhalten. Österreich und Italien haben Ungarn mit Entzug von EU-Mitteln gedroht, falls sich das Land weiter weigert. Am Montag hat Orbán im Parlament erklärt: Die Pflichtquoten abzuwehren sei die wichtigste Aufgabe der ungarischen Politik in den nächsten Monaten.

Schlacht gegen die Pflichtquoten

Eine Waffe in dieser Schlacht soll nun die Volksbefragung werden. Sie verpflichtet niemanden zu etwas, schon gar nicht die EU, aber sie kann für Orbán nützlich werden. Er kann in Brüssel sagen, dass Pflichtquoten gegen die demokratischen Grundwerte der EU verstoßen, zumindest in Ungarn – da die Wähler sich dort dagegen ausgesprochen hätten. Ganz in diesem Sinn forderte er am Mittwoch andere Länder auf, ebenfalls Befragungen zu dem Thema anzusetzen.

Inhaltlich geht es einerseits um den umstrittenen permanenten Verteilungsmechanismus, über den ab März verhandelt werden soll, sowie um eine bereits beschlossene einmalige Umverteilung von 160.000 Flüchtlingen, die im Rat der EU-Innenminister gegen Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Rumänien durchgesetzt worden ist. Ungarn und die Slowakei haben dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt. Orbán sagte am Mittwoch erneut, die EU sei zu solchen Entscheidungen ohne einstimmigen Beschluss gar nicht befugt.

Rechtlich bewegt er sich damit auf dünnem Eis, denn der Vertrag von Lissabon sieht sehr wohl Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit im Rat der Innenminister vor. Insofern könnte das Referendum den Boden für Ungarns Weigerung bereiten, ein negatives Urteil des EU-Gerichts umzusetzen. Das wäre ein radikaler Schritt. Ungarn ist oft vorgeworfen worden, es negiere europäische Regeln. In Wahrheit versucht Orbán zwar immer, seinen Spielraum mit dem Ellenbogen auszuweiten, aber stets hat die Regierung jedes Urteil des EuGH akzeptiert und umgesetzt. Den Volkswillen gegen Urteile aufzubringen, das wäre ein Schritt weg vom Rechtsstaat.

Wenn das das eigentliche Ziel ist, dann macht es auch nichts, dass die Volksabstimmung wahrscheinlich erst in einem halben Jahr stattfinden wird. Addiert man alle legalen Fristen bis zu einer Ansetzung des Referendums, kommt man auf bis zu 193 Tage.

Alte Themen drängen wieder

Bis dahin kann man das Thema in der Innenpolitik warmhalten. Darum geht es vielleicht vor allem: Die Flüchtlingskrise hat der Regierung viel Beliebtheit beschert, aber allmählich rücken wieder Themen wie Korruption und das kaputte Bildungswesen in den Vordergrund. In den jüngsten Umfragen sinken die Werte der Regierungspartei Fidesz wieder leicht, erstmals seit dem vergangenen Frühling. Für Orbán gilt es, die Flüchtlingskrise so lang wie möglich auszuschlachten.

Übrigens hatte vor Kurzem eine Gruppe rabiater kahlgeschorener Männer einen Vertreter der Sozialistischen Partei (MSZP) gewaltsam daran gehindert, fristgerecht einen Antrag für ein Referendum zum unbeliebten Ladenschlussgesetz der Regierung einzureichen. Das Vorgehen der Männer sei sehr bedauerlich, sagte Orbán. Er sei gegen solche Verhaltensweisen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2016)

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