Flüchtlingskrise: Wie Wien Verbündete am Balkan einspannt

Innenministerin Mikl-Leitner und Außenminister Sebastian Kurz luden ihre Kollegen aus Südosteuropa zum Flüchtlingsgipfel nach Wien – nur die aus Griechenland nicht.
Innenministerin Mikl-Leitner und Außenminister Sebastian Kurz luden ihre Kollegen aus Südosteuropa zum Flüchtlingsgipfel nach Wien – nur die aus Griechenland nicht.(c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
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Innenministerin Mikl-Leitner und Außenminister Kurz schworen ihre Kollegen ein, den Flüchtlingsstrom auf dem Balkan einzudämmen.

Wien. Die Bundesregierung als Taktgeber auf dem Balkan: Selten hatte österreichische Außenpolitik einen derart sichtbaren und gleichzeitig umstrittenen Gestaltungsanspruch. Unbeeindruckt von heftiger Schelte aus Brüssel, Berlin und Athen schmiedet Österreich einen Pakt mit Verbündeten entlang der Balkanroute, um die Flüchtlingsströme massiv einzudämmen. Ihren symbolischen Höhepunkt fand die Strategie am Mittwoch bei einer Konferenz am Wiener Minoritenplatz. Gemeinsam schworen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Außenminister Sebastian Kurz ihre Amtskollegen aus Slowenien, Kroatien, Serbien, Mazedonien, Bulgarien, Albanien, dem Kosovo, Montenegro und Bosnien darauf ein, den „Migrationsfluss substanziell zu reduzieren“. So stand es am Ende in der Wiener Deklaration. Entworfen hatten das Papier österreichische Beamte.

Und es waren auch Mikl-Leitner und Kurz, die flankiert von Ministern aus Kroatien, Serbien, Slowenien und Mazedonien bei einer Pressekonferenz im Innenministerium das Wort führten. Beide beteuerten, weiterhin eine gesamteuropäische Lösung und eine faire Lastenverteilung in der Flüchtlingskrise anzustreben. Doch solange der Schutz der EU-Außengrenze nicht funktioniere, müsse die koordinierte Kontrolle an nationalen Grenzen forciert werden, sagte Mikl-Leitner und griff zu einem ambitionierten Sprachbild. „Wir wollen eine Kettenreaktion der Vernunft.“ Dieser Logik zufolge ist die Quelle der Ratio derzeit in Österreich zu verorten. Und die befreundeten Nachbarn im Süden orientieren sich demnach nur an der Asylwerber-Obergrenze, die sich die Bundesregierung verordnet hat: 37.500, mehr Asylwerber will Österreich nicht aufnehmen.

Mazedonien als Schleusenwärter

Kurz verteidigte die Zahl. Die USA nähmen lediglich 10.000 Flüchtlinge, Kanada 25.000. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl habe im Vorjahr in Europa nur Schweden mehr Asylwerber als Österreich genommen. Noch einmal 90.000 Flüchtlinge will die Bundesregierung ihren Bürgern nicht mehr zumuten. „Österreich ist überfordert“, gestand Kurz ein.

Erste Verteidigungslinie in dieser Eindämmungsstrategie ist Mazedonien, das weder Mitglied der EU noch der Schengen-Zone ist. Doch der starke Mann in Skopje, Nikola Gruevski, lässt sich inmitten seiner innenpolitischen Krise gern als Schleusenwärter an der Grenze zu Griechenland aufwerten. Umso zorniger reagierte die Regierung in Athen, die von der Balkankonferenz ausgeschlossen war. Giannis Mouzalas, Vizeminister für Migrationsfragen, schäumte. Österreich sei offenbar in Panik geraten. Es sei skandalös und komme einem Putsch gleich, dass fünf Polizeichefs eine Entscheidung der EU-Regierungschefs aushebelten.

Beim letzten EU-Gipfel hatte die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, versprochen, die Grenzen bis zum nächsten Treffen, Anfang März, offenzuhalten. Doch am 18. Februar verständigten sich die Polizeichefs Österreichs, Sloweniens, Kroatiens, Serbiens und Mazedoniens auf ein verschärftes Grenzregime. Die Folgen sind seit dem Wochenende entlang der Balkanroute zu besichtigen. In Idomeni, dem griechischen Ort vor der mazedonischen Grenze, stauen sich Hunderte Menschen. Für Afghanen gibt es überhaupt kein Durchkommen mehr. Gelten sie nun plötzlich als Wirtschaftsflüchtlinge? Die serbischen Behörden schickten am Mittwoch Hunderte Afghanen zurück Richtung Griechenland, wie der mazedonische Außenminister berichtete.

Die Abfertigung an der mazedonischen Grenze geht nur noch schleppend voran. Wer durchreisen will, muss einen Reisepass, ein Visum oder eine Aufenthaltsgenehmigung vorweisen können. Schutzbedürftige aus Syrien und dem Irak sollen noch durchgelassen werden. Doch sie müssen sich etliche Fragen gefallen lassen. Woher sie kommen? Direkt aus dem Kriegsgebiet? Jede Information soll überprüft werden. Und wer sich schon länger in einem sicheren Drittstaat aufgehalten hat, darf nicht mehr durch. So ist es im Zagreber Polizeipapier festgeschrieben, das in Wien nur paraphrasiert wurde. Wenn jemand falsche Angaben macht, soll er zurückgeschoben werden. Fingerabdrücke, Befragungen, Überprüfungen: Am Ende stellen die mazedonischen Beamten den Migranten ein vereinheitlichtes Papier aus, das auf ihrer weiteren Reise bis Österreich gültig ist. Die Prozedur soll sich nicht an jeder Grenze wiederholen. So sieht Solidarität auf dem Balkan aus. 20 Polizisten aus Österreich sollen den Kollegen an der mazedonischen Grenze helfen.

Doch kann der Plan klappen? Am Mittwoch blockierten protestierende Flüchtlinge Straßen in Nordgriechenland. Die Regierung in Athen warnte bereits vor einer humanitären Krise. Denn täglich kommen in Piräus weitere Fähren mit Flüchtlingen an. Wird sie Griechenland einfach zur mazedonischen Grenze schicken? Wird der Damm brechen?

Ohne Griechen wird es nicht gehen

Ohne Zusammenarbeit mit den Griechen wird es nicht gehen. Kurz rechtfertigte trotzdem, dass zur Konferenz in Wien kein griechischer Minister eingeladen war. „An gemeinsamen Sitzungen hat es bisher nicht gemangelt, sehr wohl aber am gemeinsamen Willen, den Flüchtlingszustrom zu drosseln.“

Heute, Donnerstag, werde sie das Ergebnis der Wiener Konferenz ohnehin beim Treffen der EU-Innenminister vorstellen, ergänzte Mikl-Leitner, die auch deutsche Bedenken beiseiteschob. Deutschland solle sich entscheiden, welche Signale es setzen wolle. Einerseits den Griechen offene Grenzen zuzusichern und andererseits Österreich dafür zu rügen, Flüchtlinge nach Deutschland weiterzuschicken sei jedenfalls keine schlüssige Position, sagte die Innenministerin. Diplomatische Kollateralschäden sind in Österreichs Balkanstrategie offenbar einkalkuliert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2016)

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