"In Syrien entscheidet sich die Weltordnung"

 Alexej Puschkow, der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses der Duma, bei seinem Besuch in Wien.
Alexej Puschkow, der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses der Duma, bei seinem Besuch in Wien.(c) Stanislav Jenis
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Alexej Puschkow, Chef des außenpolitischen Ausschusses der Duma, spricht über den Weltmachtanspruch Russlands und die Militärintervention in Syrien.

Die Presse: Läuft Russland Gefahr, sich – ähnlich wie zuvor die USA im Irak – militärisch zu überdehnen in Syrien?

Alexej Puschkow: Russland wird keine Bodentruppen nach Syrien entsenden. Russlands Ziel ist es, die syrische Armee und all jene zu unterstützen, die den Islamischen Staat bekämpfen.

Sie wissen so gut wie ich, dass es Russland in Syrien nicht nur um den Kampf gegen den IS geht, sondern darum, alle Gegner von Präsident Assad zu schwächen.

Wir unterstützen Assad, weil er immer noch Syriens legitimer Präsident und mit Ausnahme der Kurden die einzige Kraft in Syrien ist, die den IS am Boden bekämpft.

Russland hat die Freie Syrische Armee und andere Rebellen bombardiert.

Die Stellungen der FSA sind mit jenen der Terrororganisation Jabhat al-Nusra verzahnt und ununterscheidbar. Wenn die FSA nicht das Ziel russischer Luftangriffe sein will, sollte sie sich von Jabhat al-Nusra lösen, sich der Waffenruhe anschließen und sich öffentlich bereit erklären, gegen den IS zu kämpfen.

Will Russland dem Westen eine Lektion in Syrien erteilen?

Nein. Aber wir sehen keinen Grund, uns fernzuhalten, wenn die USA in den 20 Jahren, in denen sie das Problemlösungsmonopol im Nahen Osten hatten, die Region komplett zerstört haben.

Füllt Russland nun ein Vakuum, das die USA im Nahen Osten hinterlassen haben?

Es ist kein Vakuum, sondern ein Desaster. Den Begriff Vakuum verwenden westliche Politikwissenschaftler. Es ist eine höfliche Art zu sagen, dass die Amerikaner total versagt haben. Libyen? Irak? Syrien? Jemen? Die USA haben nichts erreicht außer Chaos.

Und jetzt schreitet Russland ein.

Wir sind auch für die Sicherheit unserer Verbündeten in Zentralasien – in Kasachstan und Tadschikistan oder Kirgisistan – verantwortlich. Das ist unser verwundbarer Vorhof, den der IS auch bedroht. Es ist an der Zeit, irgendeine Ordnung in den Nahen Osten zu bringen.

Wo ist die russische Ordnung in Syrien? Ich kann sie noch nicht erkennen.

Die Ordnung in Syrien haben andere zerstört. Die USA wollten Assad absetzen. Als US-Präsident Obama 2012 erkannte, dass der Putsch, den er gegen Assad vorbereitet hatte, nicht gelingt, begann er, gemeinsam mit der Türkei, Katar und Saudiarabien radikale Islamistengruppen gegen Assad zu unterstützen. Wir schritten in Syrien ein, als die von den USA bevorzugte militärische Lösung nicht funktionierte. Syrien braucht eine politische Lösung.

Bleibt die Frage, wie Syrien mit einem Mann wie Assad, der für Hunderttausende Tote verantwortlich ist, eine friedliche politische Zukunft haben kann.

Assad wird von einem großen Teil der syrischen Bevölkerung unterstützt. Die politische Lösung kann nicht auf einem Sturz Assads basieren, sondern auf Verhandlungen zwischen der Regierung und der Opposition. Erst unsere Militäraktion in Syrien hat eine Balance hergestellt und eine politische Lösung möglich gemacht.

Eine interessante Dialektik: Russland startet eine Militäroperation, damit Frieden ausbricht.

Wir begannen unsere Militäroperation, als Syrien schon in Flammen stand. Ohne Russland hätten wir jetzt in Syrien keine Waffenruhe, keine Verhandlungen, und der IS und al-Nusra wären jetzt dabei, Damaskus untereinander aufzuteilen.

Was bringt es dem durchschnittlichen russischen Bürger, dass Russland eine – unter Anführungsstrichen – größere Rolle auf der Weltbühne spielt?

Sie können die Anführungsstriche streichen. Russland spielt eine größere Rolle. Wenn wir den IS schwächen, oder besser: vernichten, bringt das Russland mehr Sicherheit. Wenn aber der IS stärker wird, wird es für Russland gefährlicher. Im Nordkaukasus wurden bereits etliche Terroristen verhaftet, die dem IS Treue geschworen hatten.

Syrien liegt doch gar nicht im Kerninteresse Russlands.

War das Bombardement in Libyen mit dem Kerninteresse der Amerikaner verbunden? Darum geht es nicht. Es geht um Russlands Sicherheit. Und außerdem ist Russland eine Weltmacht und deshalb mitverantwortlich für den Zustand der Welt. Russland ist heute neben den USA und China eine von drei Mächten, die unabhängige Entscheidungen auf globaler Ebene treffen könnten. Die EU ist abhängig von den USA.

Was, wenn die russische Strategie in Syrien nicht funktioniert? Bombardiert Russland dann die nächsten drei Jahre weiter?

Wenn man eine Militäroperation beginnt, kann man nicht exakt das Ende vorhersagen. Wir wollen Syrien von Terroristen säubern.

Die Strategie Russlands ist an einem politischen Prozess in Syrien aufgehängt, der sehr unwahrscheinlich ist.

Die Strategie der USA ist an diesem Prozess aufgehängt. Die USA wissen, sie verlieren ihr Image der unverzichtbaren Nation, wenn sie in Syrien scheitern. US-Außenminister Kerry ist das seit Monaten bewusst. In Syrien entscheidet sich die Weltordnung. Das ist nicht nur ein lokaler Konflikt.

Das musste auch Russland bemerken. Die Beziehungen zur Türkei liegen nun in Scherben.

Wie hätten die Amerikaner reagiert, wenn eines ihrer Kampfflugzeuge abgeschossen worden wäre? Jeder weiß, dass die Türkei eine verantwortungslose Außenpolitik verfolgt. Die Amerikaner haben Ankara gewarnt, dass sie keine Hilfe leisten werden, wenn die türkische Armee in Syrien einmarschiert. Die Nato distanziert sich von der Türkei. In Europas Hauptstädten befürchtet man, dass Erdoğan die Nato in einen Krieg hineinzieht.

Besteht die Gefahr einer direkten Konfrontation zwischen der Türkei und Russland in Syrien?

Nachdem die Türkei die russische Su-24 grundlos abgeschossen hat und turkmenische Kämpfer den russischen Piloten erschossen haben, hat sich Russland sehr verantwortungsvoll verhalten. Wir haben harte politische Maßnahmen ergriffen, aber auf einen militärischen Konflikt verzichtet. Leider demonstriert die Türkei nicht das gleiche verantwortungsvolle Verhalten.

Haben die USA die Waffenruhe forciert, um Bodenoffensiven der Türkei und Saudiarabiens und damit einen Zusammenprall mit Russland in Syrien zu vermeiden?

Das kann Teil ihres Kalküls sein. Aber auch Russland hat aktiv an dieser Waffenruhe mitgearbeitet. Ohne uns gäbe es keine Waffenruhe. Wir wollen keine Eskalation und keine Ausweitung des Konflikts.

Denn wenn die Türkei und Russland aneinandergerieten, wäre die Nato involviert.

Eine direkte Konfrontation ist unwahrscheinlich. Die Nato möchte sich offensichtlich von den Ereignissen in Syrien fernhalten.

Die Türkei ist Mitglied der Nato.

Ich habe keine einzige Äußerung gehört, dass die Nato der Türkei im Syrien-Konflikt zu Hilfe kommen könnte.

ZUR PERSON

Alexej Puschkow, geboren am 10. August 1954 in Peking, ist einer der führenden Außenpolitiker Russlands. Nach Wien kam er neulich in seiner Funktion als Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses des russischen Parlaments. Er begleitete Parlamentspräsident Sergej Naryschkin.

Puschkow führt auch die russische Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats an. Daneben leitet der Politologe das Institut für aktuelle internationale Probleme an der Diplomatischen Akademie des Außenministeriums. Er gestaltet und moderiert auch das wöchentliche Fernseh-Politmagazin „Postskriptum“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2016)

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