Analyse: Europas neue Unregierbarkeit

Die Rechnung ging nicht auf: Spanischer Sozialistenchef Pedro Sánchez versuchte verzweifelt, eine Regierung zu basteln.
Die Rechnung ging nicht auf: Spanischer Sozialistenchef Pedro Sánchez versuchte verzweifelt, eine Regierung zu basteln.(c) REUTERS (ANDREA COMAS)
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Geschwächte und dezimierte Großparteien, zersplitterte Parlamente und lähmende Pattstellungen: Von Spanien bis zur Slowakei breitet sich der Fluch der fehlenden Mehrheiten aus.

Erst Portugal, Spanien, dann Irland und jetzt auch noch die Slowakei – alle diese europäischen Länder sind zuletzt vom ähnlichen „Wahlfluch“ heimgesucht worden: In Parlamentswahlen wurden regierende und oppositionelle Großparteien abgestraft, dafür punkteten kleine (oft radikale) Randgruppen. In den extrem fragmentierten Parlamenten lassen sich keine regierungsfähigen Mehrheiten formen. Stattdessen folgt eine Phase des politischen Stillstands, geprägt von mühsamen Sondierungsverhandlungen, brodelnden Gerüchteküchen und verdeckten Machtspielchen. Dieses Politvakuum endet meist entweder in fragilen Minderheitsregierungen – oder in Neuwahlen. Dann geht das Spiel von vorn los.

Yves Bertoncini, Direktor des Thinktanks Jacques Delors Institut in Paris, sieht trotz großer nationaler Unterschiede einen gemeinsamen Nenner in all den Ländern: Grund für das Wahlresultat sei „eine Kombination von hausgemachten und internationalen Krisen (Korruption, Finanz- bzw. Migrationskrise; Anm.)“. Die politischen Eliten werden vom Wähler entweder direkt dafür verantwortlich gemacht – oder ihnen wird vorgeworfen, kein Rezept dagegen zu haben und nur Zeit zu verlieren.

Althergebrachte Parteien leiden also laut Bertoncini an Glaubwürdigkeits- und Legitimierungsproblemen: „Sie schaffen es nicht, in einer Phase nationaler und europäischer Identitätskrisen neue, identititätsstiftende Narrative zu prägen.“ Angela Merkel hätte es mit ihrer „Wir schaffen es“-Rhetorik versucht – und sei gescheitert.

Slowakei

Premier Robert Fico hat es entgegen allen Erwartungen nicht geschafft, mit seinem Antimigrationskurs zu punkten: Bei der Wahl am Samstag erhielt er eine schallende Ohrfeige. Zwar sind seine Sozialdemokraten weiter stärkste Kraft, doch die Suche nach Koalitionspartnern wird schwierig. Mit dem bisherigen Partner, der nationalkonservativen SNS, geht sich eine Mehrheit nicht mehr aus. Die Partei des Europakritikers Richard Sulik, zweitstärkste Kraft, lehnte eine Zusammenarbeit ab. Auch unter den acht neuen Parlamentsparteien – darunter die rechtsextreme Unsere Slowakei – findet Fico keine Unterstützer.

Fico gelang es nicht, mit Einwanderungspolitik und guten Wirtschaftsdaten zu überzeugen. Stattdessen straften ihn die Wähler für das marode Gesundheits- und Schulwesen sowie für Korruptionsskandale seiner Partei.

Irland

Eine Pattsituation herrscht auch auf der Grünen Insel: Die Mitte-links-Koalition unter Premier Enda Kenny erhielt wegen ihres langjährigen Sparkurses einen Denkzettel: Da Labour auf knapp sieben Prozent abrutschte und ihre Stimmen an Linksnationalisten verlor, ist an eine Neuauflage der Koalition nicht zu denken. Einziger rechnerisch möglicher Partner für Kennys Fine Gael wäre Erzfeind Fianna Fáil. Doch die beiden Großparteien trennt eine jahrhundertelange Feindschaft, die auf den Irischen Bürgerkrieg zurückgeht. Bereits vor der Wahl hatten sie eine Kooperation ausgeschlossen.

Politische Instabilität kann sich das ehemalige Krisenland nicht leisten: Dank radikaler Reformen kam zuletzt die Wirtschaft wieder in Schwung – auch wenn die Bevölkerung noch wenig davon spürt (die Arbeitslosigkeit liegt bei knapp zehn Prozent). Ein Stocken der Reformbemühungen könnte allerdings das Finanzloch wieder aufreißen: Mit 97 Prozent der Wirtschaftsleistung ist Irlands Schuldenstand noch gefährlich hoch.

Spanien

Seit der Wahlschlappe für die Großparteien im Dezember sucht Spanien eine Regierung: Erst scheiterten die bisher regierenden Konservativen, dann die Sozialisten. Da eine Große Koalition kategorisch ausgeschlossen wird, ist nur eine Zusammenarbeit mit den Protestparteien möglich. Doch für eine Koalition mit den liberalen Ciudadanos fehlen die Parlamentsmandate. Die Kooperation mit Links-außen-Partei Podemos oder katalanischen Separatisten scheitert hingegen an politischen Inhalten.

Korruptionsskandale und Sparkurs haben den Großparteien im einstigen Eurokrisenland zugesetzt. Nun droht Spanien wegen der Politlähmung in die nächste Finanzmisere zu schlittern.

Portugal

Auch der einstige EU-Musterschüler Portugal zeigte bei Wahlen im Oktober dem rigiden Sparkurs der Mitte-rechts-Regierung die kalte Schulter: Nach wochenlanger Versuche der Konservativen, erneut eine Koalition zu bilden, riss Sozialist Antonio Costa das Ruder an sich und bildete mit linksradikalen Parteien eine Minderheitsregierung. Zwar versprach er, den Sparkurs weiter zu verfolgen, erhöhte aber gleichzeitig Sozialausgaben. Experten bezweifeln, dass Costa lange politisch überleben wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2016)

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