Thaçi: "Wir haben nur Miloševićs Gesetze verletzt"

 „Wir würden uns an einer Quote zur Verteilung von Flüchtlingen beteiligen.“ Der neue Präsident des Kosovo, Hashim Thaçi.
„Wir würden uns an einer Quote zur Verteilung von Flüchtlingen beteiligen.“ Der neue Präsident des Kosovo, Hashim Thaçi.(c) APA/AFP/ARMEND NIMANI
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Der neue Präsident des Kosovo, Hashim Thaçi, weist erneute Vorwürfe zurück, er sei in Kriegsverbrechen verwickelt gewesen. Die Oppositionsparteien des Kosovo fordert er dazu auf, den Dialog mit Serbien zu unterstützen.

Die Presse: Serbische Medien berichten, dass Flüchtlinge nun auch über den Kosovo Richtung Mitteleuropa reisen. Entsteht hier eine neue Flüchtlingsroute?

Hashim Thaçi: Wir haben keine Hinweise darauf, dass Flüchtlinge in den Kosovo kommen könnten. Wir Kosovaren waren im Krieg 1999 selbst Flüchtlinge, deshalb sind wir mit solchen Situationen vertraut. Jeden Schritt, den wir in der Frage setzen, werden wir mit unseren Partnern in der EU koordinieren. Natürlich hat der Kosovo nur beschränkte Möglichkeiten. Aber wenn eine Quote bei der Verteilung der Flüchtlinge festgelegt werden sollte, sind wir gerne bereit, unseren Teil beizutragen. Klar ist aber auch, dass die meisten Flüchtlinge nicht vorhaben, im Kosovo zu bleiben. Sie wollen nach Österreich oder Deutschland.

Würden Sie – so wie andere Staaten – notfalls auch die Grenze des Kosovo schließen, etwa zu Mazedonien oder Albanien?

Ich will nicht darüber spekulieren, bevor überhaupt noch Flüchtlinge versuchen, in den Kosovo zu gelangen. Maßnahmen wie Grenzschließungen sind jedenfalls immer nur temporär. Denn das Flüchtlingsproblem kann nicht nur ein Land allein lösen. Es braucht eine europäische Lösung.

Die Opposition im Kosovo sagt, dass Ihre Wahl zum Staatspräsidenten ein Bruch der Verfassung sei. Wie kann der tiefe Riss im Land überwunden werden?

Meine Wahl zum Präsidenten war legal. Wir müssen aber auch die Entscheidung der Opposition respektieren, mit einer Beschwerde zum Verfassungsgerichtshof zu gehen. Das ist Demokratie.

Die Opposition fordert Neuwahlen. Es gab in den Straßen Zusammenstöße mit der Polizei. Vertreter der Oppositionspartei Vetëvendosje haben Tränengasgranaten im Parlament geworfen. Die Lage ist sehr angeheizt.

Was klar sein muss: Niemand darf Gewalt für politische Ziele benutzen. In meinem neuen Amt als Präsident werde ich versuchen, Brücken zwischen den Parteien zu bauen. Der Termin für Wahlen liegt nicht in den Händen des Präsidenten oder nur einer Partei, sondern des Parlaments.

Ist es für Sie nicht schwierig, Brücken zu bauen, wenn Sie von der Opposition als Präsident gar nicht anerkannt werden?

Ich werde der Präsident aller Bürger des Kosovo sein, ganz gleich, welche politischen Ideen oder welchen religiösen oder ethnischen Hintergrund sie haben. Die Opposition bringt vor allem zwei Themen vor, nämlich die Abkommen, die wir in Brüssel und in Wien geschlossen haben. Es geht dabei um den Zusammenschluss serbischer Gemeinden im Kosovo. Ich bin zuversichtlich, dass wir am Schluss die Interessen des Kosovo über die politischer Parteien stellen können. In diesem Sinne werde ich auch mit den Anführern der Oppositionsparteien arbeiten.

Die Oppositionsparteien klagen, dass der Kosovo mit der Errichtung des serbischen Gemeindeverbandes geteilt werden könnte wie Bosnien und Herzegowina.

Der Kosovo wird nicht geteilt. Das wird unter keinen Umständen geschehen. Das steht klar in den Abkommen. Damit das Projekt Kosovo gelingt, müssen wir alle Bevölkerungsgruppen einbinden, auch die Serben. Wir dürfen sie nicht isolieren. Der serbische Gemeindeverband wird keine gesetzgebende oder exekutive Gewalt haben. Es wird in voller Übereinstimmung mit der Verfassung des Kosovo arbeiten. Niemand sollte den Dialog mit Serbien dazu missbrauchen, um politisches Kleingeld zu wechseln. Die Normalisierung der Beziehungen zu Belgrad ist Voraussetzung für Frieden und Stabilität in der Region.

Was wollen Sie als neuer Präsident dazu beitragen?

Ich persönlich habe diesen Prozess eine lange Zeit geleitet. Und ich werde ihn auch jetzt als Präsident des Kosovo weiter unterstützen. Wir sollten nicht Geiseln unserer Vergangenheit bleiben, sondern für eine bessere, gemeinsame Zukunft in der EU und der Nato arbeiten. Vielleicht ist es wegen der bitteren Vergangenheit zu früh, dass wir einander lieben. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht einander respektieren und zusammenarbeiten können. Und ich sehe die Bereitschaft dazu im Kosovo und in Serbien.

Aber wird Serbien den Kosovo als eigenen Staat anerkennen?

Ja, ganz sicher. Aber nicht sofort. Die Anerkennung des Staates Kosovo durch Serbien wird parallel zu Serbiens EU-Integrationsprozess erfolgen.

Zuletzt gab es in serbischen Zeitungen neue Vorwürfe, dass Sie in den Handel mit menschlichen Organen verwickelt seien.

Diese Berichte sind eine verrückte Erfindung. Wir haben nichts zu verbergen. Deshalb hat das Kosovo-Parlament die Gründung des neuen Sondergerichtshofs beschlossen. Ich habe das persönlich unterstützt, denn ich sehe darin einen Vorteil für den Kosovo. Damit können wir endlich derartige Vorwürfe aus der Welt schaffen.

Der Chefankläger des Tribunals hat klargestellt, dass niemand Immunität genießt. Haben Sie Sorge, dass Ex-Mitglieder der "Kosovo-Befreiungsarmee" UÇK und auch Sie persönlich ins Visier des Gerichts geraten könnten?

Wir sollten nicht die Verfahren an diesem Gericht vorwegnehmen. Die UÇK hat die internationalen Regeln nicht verletzt. Wir haben nur die Gesetze des serbischen Machthabers Slobodan Milošević verletzt – und darauf bin ich stolz.

ZUR PERSON

Hashim Thaçi war während des Aufstandes gegen das serbische Regime von Slobodan Milošević Ende der 1990er-Jahre politischer Direktor der kosovo-albanischen Untergrundarmee UÇK. Nach dem Abzug der serbischen Truppen 1999 war er zunächst Übergangspremier, später dann Premier und Außenminister des unabhängigen Kosovo. Vor zwei Wochen wurde er im Parlament des Kosovo zum neuen Staatspräsidenten gewählt. Die Opposition will seine Wahl aber nicht anerkennen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2016)

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