Geheime Personalakten des IS - sechs Österreicher sollen darunter sein

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Die Miliz führt offenbar genau Buch über Anhänger, die in ihr Gebiet einreisen. Nun sind Akten von tausenden Jihadisten aufgetaucht. Ein Einblick in die Bürokratie des Terrors.

Der Fragebogen umfasst 23 Punkte. Name, Geburtsdatum, Nationalität, Familienstand – Angaben, die jede Behörde auf der ganzen Welt erfragt. Aber auch: Kampfname? Name des Bürgen? Der Mittelsmann, der bei der Einreise geholfen hat? Schließlich möchten die Bürokraten des sogenannten Islamischen Staates (IS) wissen: Gibt es schon Jihaderfahrung? Möchte man Kämpfer oder gar Selbstmordattentäter werden? Wie steht es um das „Niveau der Gehorsamkeit“?

Offen bleibt beim Ausfüllen wohl vorerst nur Punkt 22: Datum und Ort des Todes.

Dem britischen TV-Sender Sky News sind Dokumente zugespielt worden, die eine Art riesiges IS-Mitgliederverzeichnis sind und einen ausgeprägten Hang der Jihadisten zur Bürokratie belegen. Sie enthalten laut Sky News ausgefüllte Personalbögen von 22.000 IS-Jihadisten aus 51 Ländern. Unter den Informationen sind Telefonnummern und Adressen von Angehörigen, die im Fall des Todes benachrichtigt werden, das Datum der Einreise ins Kalifat, die Blutgruppe sowie Angaben über Helfershelfer.

Ob, und wenn ja, wie viele Personen aus Österreich sich im besagten Datensatz befinden, wollen die heimischen Behörden noch nicht öffentlich machen. Beim Staatsschutz hieß es dazu am Donnerstag, dass man bisher selbst nur über „gesichertes Medienwissen“ verfüge und derzeit versuche, die Dateien zu beschaffen. Der Kontakt zu den Behörden in Deutschland und Großbritannien sei hergestellt.

Der ORF berichtete jedoch in der ZIB 2 davon, dass es in sechs Fällen einen Österreich-Bezug geben solle. Laut der Tageszeitung "Der Standard" soll in der Datei eine Person auftauchen, die mit dem Kampfnamen "Al-Namsi" (etwa "der Österreicher") geführt wird und als Bürge für deutsche Jihadisten fungiert haben soll.

Buchführung des IS nicht ungewöhnlich

Ein Teil des riesigen Datensatzes scheint vor wenigen Tagen bereits in Deutschland aufgetaucht zu sein. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat am Dienstag mit den Sendern WDR und NDR über eben solche Personalbögen berichtet, die deutsche Jihadisten bei ihrem Eintritt ins IS-Territorium ausgefüllt haben sollen. Das deutsche Bundeskriminalamt schätzte die Dokumente nach gründlicher Überprüfung als echt ein. Auch die von den Medien überprüften Daten zu einzelnen Personen – etwa Geburtsdatum, Telefonnummern, Details zur Ausbildung – erwiesen sich als richtig.

Ob das für alle nun vorhandenen Dokumente gilt, muss erst festgestellt werden. Einige in britischen und US-Medien zitierte Experten äußerten mit Blick auf Unstimmigkeiten, etwa in der Wortwahl oder bei den verwendeten IS-Logos, Zweifel an der Echtheit. Die Strafverfolgungsbehörden erhoffen sich von den Dokumenten jedoch Aufschluss über Hintermänner und Rekrutierer, neue Informationen über Verdächtige, denen man nichts hat nachweisen können, sowie Angaben über bisher unbekannte IS-Anhänger und Rückkehrer.

Dass Führung und Verwaltung des IS ihr eigenes System präzise dokumentieren, überrascht Experten hingegen nicht. „Das Phänomen gab es im Dritten Reich genauso wie in der Vorläuferorganisation des IS, des Islamischen Staats im Irak“, sagt Rüdiger Lohlker, Professor für Islamwissenschaften an der Universität Wien. Vor Jahren schon beschlagnahmten US-Streitkräfte zahlreiche Karteikarten von Mitgliedern, auf denen etwa die Karrierewege von Selbstmordattentätern dokumentiert waren.

Heute, erzählt Lohlker, gehe das sogar noch weiter. So scheint der IS etwa Buch darüber zu führen, wer beispielsweise Almosen empfängt, oder welche ehemaligen Mitglieder des Assad-Regimes an sogenannten Reue-Sitzungen teilnahmen, um in die Verwaltung aufgenommen werden zu können. Diese Papiere sind quasi Bescheinigungen dafür, dass jemand nicht ungläubig im Sinn der Jihadisten ist.

In Analysen des Heeresnachrichtenamtes des Bundesheeres steht, warum: Der innere Führungskreis des IS, insbesondere jener der Sicherheitsdienste, ist großteils mit ehemaligen Geheimdienstoffizieren des gestürzten Regimes von Saddam Hussein besetzt, die bei den Extremisten angeheuert haben. Und schon der Irak Saddams war bekannt für seine interne Bürokratie.

Auf einen Blick

Ein früheres IS-Mitglied hat dem britischen Sender Sky News offenbar Akten von 22.000 IS-Anhängern aus 51 Ländern zugespielt. Sie enthalten umfangreiche Daten und könnten weitreichende Auswirkungen auf die Strafverfolgung haben. Ein Akt soll eine Liste von Selbstmordattentätern enthalten.

>>> Zum Bericht auf "Der Standard".

>>> Zum Bericht in der ZIB2.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2016)

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