Brasiliens Präsidentin ist angezählt

Rousseff reacts during a news conference in Brasilia
Rousseff reacts during a news conference in Brasilia(c) REUTERS (UESLEI MARCELINO)
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Wirtschaftskrise, Politchaos und Korruptionsermittlungen haben Dilma Rousseffs Macht ausgehöhlt. Am Sonntag werden wieder Millionen gegen Brasiliens Staatsoberhaupt marschieren.

Buenos Aires. 90 Tage, womöglich 120, vielleicht bis nach Olympia im August. Längst haben die Wetten begonnen, wie lange es die Präsidentin Dilma Rousseff noch aushält. „Politischer Tsunami“, „Revolution in Zeitlupe“, „perfekter Sturm“ und „Schachmatt“ – die Kommentatoren wetteifern mit Metaphern, um die schwerste Krise Brasiliens seit Jahrzehnten zu versinnbildlichen. Die Wirtschaft liegt darnieder. Um 3,8 Prozent schrumpfte die Gesamtleistung im Vorjahr, die Aussichten für 2016 sind noch schlechter. Kongress und Senat rebellieren, empört über die sich immer weiter verzweigenden Korruptionsermittlungen nach dem Milliardenschaden beim staatlichen Ölriesen Petrobras.

Am Dienstagabend kam wieder eine Breitseite. Marcelo Odebrecht wurde zu fast 20 Jahren Haft verurteilt. Der 47-Jährige Chef der größten Baufirma des Landes hat, so Richter Sérgio Moro, 30 Millionen Dollar an Politiker gezahlt, um Aufträge des staatlichen Ölriesen Petrobras zu bekommen. Dieses enorme Strafmaß ist offenbar darauf ausgelegt, den Verurteilten zum Auspacken zu ermuntern. Vor dem Gesang eines Kronzeugen Odebrecht muss ganz Brasilia zittern, aber vor allem die beiden Präsidenten dieses Jahrhunderts: Luiz Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff.

Millionen verschoben

Zu deren weiterer Besorgnis sitzt seit zwei Wochen auch noch João Santana ein, Lateinamerikas erfolgreichster Wahlkampfstratege. Er verhalf Lula, Rousseff, aber auch den Venezolanern Hugo Chávez und Nicolás Maduro sowie mehreren mittelamerikanischen Staatschefs zu Siegen. Bezahlt wurden diese offenbar auch von Odebrecht – um nachher mit saftigen Aufträgen vergolten zu werden. Auch Santana hat Kooperationswillen signalisiert. Aber dafür wird er nach ganz oben spucken müssen.

Sicher ist, dass die Konzerne Millionenbeträge auch den Koalitionspartnern der Arbeiterpartei (PT) zuschoben. Die PMDB, ein Sammelsurium aus Provinzfürsten, war immer größer als die PT, überließ dieser jedoch den Vortritt.

Die Erklärung für diesen Altruismus finden die Ermittler nun auf Hunderten Auslandskonten. Kürzlich veröffentlichte die Generalstaatsanwaltschaft die Kreditkartenabrechnungen des PMDB-Parlamentspräsidenten Eduardo Cunha, nebenbei evangelikaler Prediger. Dessen Frau und Tochter gaben 2014 etwa 167.000 Dollar aus – in luxuriösen Hotels, Restaurants und Boutiquen in Europa und am Golf. Kommenden Samstag nun will die PMDB auf einem Parteitag ihre Strategie bestimmen. Wenn auch ein Bruch des Koalitionsabkommens als unwahrscheinlich angesehen wird, ist es durchaus möglich, dass die Partei ihre Abgeordneten der Bündnisdisziplin enthebt.

Das könnte das Impeachment-Verfahren gegen Rousseff auferwecken, das ein Spruch des Obersten Gerichtshofs im Dezember auf ein Abstellgleis geschoben hatte. Sollten am Sonntag wieder Millionen gegen die Präsidentin marschieren, werden viele PMDB-Deputierte überlegen, ob sie sich diesem Strom entgegenstellen sollen.

Vorigen Samstag gab es bereits Aufmärsche, von den Anhängern der Arbeiterpartei nach der schmählichen Vorführung ihres Säulenheiligen Lula durch die Staatsanwaltschaft. Nun hat ein zweiter Staatsanwalt Untersuchungshaft für Lula beantragt, weil dieser nach seiner Aussage vorigen Freitag die Anhänger zu Protesten aufrief. Der Ex-Präsident habe sich über das Recht gestellt, behauptet der Staatsanwalt. Noch hat die zuständige Richterin den Antrag nicht unterfertigt. Wartet sie auch den Sonntag ab?

Sicher ist: Die PT und ihre linken Verbündeten scharen sich nun um den mit 40 Prozent Zuspruch immer noch populären Lula, den sie als einzigen möglichen Kandidaten für 2018 ansehen. Lula hatte die Sparpläne von Rousseffs entnervt ausgeschiedenem Finanzminister Joaquim Levy offen kritisiert. Brasiliens Linke, wie ihre Glaubensbrüder in Venezuela und Argentinien, wollen nicht wahrhaben, dass die wirtschaftliche Basis der Keynes-Konsumfiesta nicht mehr vorhanden ist: Hohe Rohstoffpreise, niedrige Zinsen, niedriger Dollarkurs und Vollbeschäftigung sind allesamt passé. Dilma Rousseff erkannte das und wollte reagieren. Wie es scheint, hat die als Marktreformerin gescheiterte Ex-Guerillera ihren Platz in Brasiliens Geschichte gefunden: zwischen allen Stühlen.

AUF EINEN BLICK

Der Korruptionsskandal rund um den brasilianischen Energiekonzern Petrobras zieht immer weitere Kreise. Neulich wurde Marcelo Odebrecht, der Chef der größten Baufirma des Landes, zu 20 Jahren Haft verurteilt. Er zahlte 30 Millionen Dollar an Politiker, um an Aufträge des staatlichen Ölunternehmens zu gelangen. Die Elite zittert. Wird Odebrecht nun Kronzeuge?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2016)

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