Österreichs Exportschlager: der Hausverstand

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To match Special Report BRITAIN/BANKS(c) REUTERS (GARY HERSHORN)
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Neulich kam ich bei einem Empfang in Washington mit dem Leiter der US-Tochterfirma eines österreichischen Elektronikunternehmens ins Gespräch.

Wir steuerten schnell auf eine Grundsatzfrage zu, die mich seit meiner Übersiedlung in die USA beschäftigt: Wieso bekommt man es hier als Kunde so oft mit Firmenmitarbeitern zu tun, die offensichtlich nicht einmal einen Bleistift spitzen können, ohne sich vorab genaue Instruktionen von ihrem Vorgesetzten zu holen? Mein neuer Bekannter, der seit 17 Jahren hier lebt und arbeitet, klärte mich mit einer Einsicht auf, die nur auf den ersten Blick paradox erscheint: Der Grund für die faszinierende unternehmerische Dynamik Amerikas ist gleichzeitig die Ursache dafür, dass die Arbeitnehmer weniger kompetent sind als in Europa. Das lässt sich an Beispielen wie der kalifornischen Firma Juniper veranschaulichen, die Netzwerktechnologie herstellt. Binnen nur 20 Jahren ist aus diesem Start-up ein börsenotierter Konzern mit rund 9500 Angestellten geworden. Das war möglich, weil Juniper rasch viele Menschen für ganz enge, streng vorgeschriebene Funktionen anstellte. Sie ließen sich schnell und billig einschulen. Eine vergleichbare europäische Firma könnte nicht so rapid wachsen, gab mein Bekannter zu bedenken. Denn in Europa kosten Arbeitnehmer angesichts höherer Steuern und Sozialabgaben mehr, und der strenge Kündigungsschutz macht „Hire and Fire“ kaum möglich. Also gibt es einen Anreiz, mit dem teuren Faktor Mensch, wenn man das so kaufmännisch-kühl ausdrücken darf, sorgsamer umzugehen. Und das führe dazu, dass die Schulungsunterlagen für neue Mitarbeiter am Wiener Standort seiner Firma die amerikanischen Kollegen oft überforderten: „Es fehlt vielen Amerikanern am Hausverstand. In Österreich hingegen ist das ein ganz zentraler Wert in der Erziehung.“ Darum seien so viele Österreicher in den USA enorm erfolgreich. Der Hausverstand ist also mehr als bloß die Werbefigur einer Supermarktkette: Er ist ein österreichisches Kulturgut, das wir pflegen sollten.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2016)

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