Pariser Terrorserie: Noch fehlen Teile im Attentatspuzzle

Neu veröffentlichte Aufnahmen von der Jagd auf Salah Abdeslam und seine Komplizen in Brüssel. Abdeslam sitzt derzeit in Untersuchungshaft. „Er ist Gold wert“, sagt sein Anwalt.
Neu veröffentlichte Aufnahmen von der Jagd auf Salah Abdeslam und seine Komplizen in Brüssel. Abdeslam sitzt derzeit in Untersuchungshaft. „Er ist Gold wert“, sagt sein Anwalt.(c) REUTERS (REUTERS TV)
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Frankreich und Belgien setzen auf Kooperation, Paris fordert die Auslieferung des Logistikchefs Salah Abdeslam. Zwei Verdächtige sind noch auf der Flucht.

Brüssel/Paris. Vier Monate hat er die Behörden in Paris und vor allem in Brüssel genarrt, und für ein langes Adventwochenende hat er sogar die belgische Hauptstadt wegen Terrorangst vollständig lahmgelegt. Schulen und U-Bahnen blieben geschlossen, eine ganze Stadt versteckte sich hinter den Vorhängen der Häuser und Wohnungen vor Salah Abdeslam, dem 26-jährigen Franzosen marokkanischer Abstammung, dem meistgesuchten Verbrecher Europas.

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Als Spezialkommandos der Polizei im Brüsseler Problemviertel Molenbeek am Freitagabend zuschlugen, weil ihnen eine Pizzalieferung für die observierte Wohnung verdächtig vorkam, dauerte es nicht lang, bis Belgiens Premier, Charles Michel, und Frankreichs, Präsident Francois Hollande, zu einer gemeinsamen Pressekonferenz in Brüssel baten. Seither treten hochrangige Vertreter der beiden Nachbarn im Tandem auf.

Kein Zweifel, kein böser Verdacht sollen die Kooperation der Behörden und der Justiz zwischen Frankreich und Belgien im größten Terrorfall des Kontinents trüben, wie sie in den vergangenen Monaten das Klima zwischen beiden Staaten zeitweise vergiftet haben. Die Tatsache, dass sich Salah Abdeslam monatelang in mehreren Wohnungen in Brüssel verschanzt gehalten hat, beschützt von einem loyalen Netzwerk von Verwandten und Freunden, gibt der Polizei freilich Rätsel auf. Sie hat ihn stattdessen in Syrien, der Türkei, Marokko oder den Niederlanden gewähnt. Das Puzzle sei längst nicht gelöst, erklärte Frederic Van Leeuw, der Brüsseler Staatsanwalt.

Hollande empfängt Angehörige

Frankreich und Belgien haben ein gemeinsames Ermittlungsteam zusammengestellt. François Moulins, der zuständige Staatsanwalt in Paris, und sein belgischer Amtskollege, Van Leeuw, ließen am Montag keine Zwietracht aufkommen, als sie die jüngsten Ermittlungsergebnisse in Brüssel präsentierten. Sie nannten als Abdeslams Komplizen den 24-jährigen Najim Laachraoui, der sich auf einem gefälschten Ausweis als Soufiane Kayal ausgegeben hatte. Zusammen mit Samir Bouzid alias Mohammed Belkaid, den in der Vorwoche bei einer Razzia erschossenen Verdächtigen, hatte er Abdeslam auf seiner Flucht von Paris nach Brüssel begleitet, als sie mehrmals in Frankreich in eine Polizeikontrolle geraten waren.

Laachraoui und Mohammed Abrini sollen weiterhin auf der Flucht sein. Belgiens Innenminister, Jan Jambon, verhängte sogleich eine neue erhöhte Terrorwarnstufe für den Großraum Brüssel.

In Paris empfing Staatschef Hollande derweil erstmals Angehörige der 130 Opfer, die sich längst gewundert hatten, warum der Präsident bisher keine Zeit für ein ausführliches Gespräch mit ihnen gefunden habe. Abdeslam, der Cheflogistiker der Pariser Terrorserie, hat indessen aus der Schule geplaudert. Er sprach davon, dass er ursprünglich die Absicht gehabt habe, sich am Abend des 13. November vor dem Stade de France selbst in die Luft zu sprengen, den Sprengstoffgürtel schließlich jedoch in einem Abfalleimer deponiert habe. Offenbar heckte er in Brüssel neue Anschlagpläne aus. Frankreich forderte von Belgien die Auslieferung Abdeslams, der zurzeit in einer Zelle in Untersuchungshaft in Brügge einsitzt. Die Erkenntnisse, die sein Mandant nun liefere, seien „Gold wert“, behauptet Abdeslam-Anwalt Sven Mary.

Ein Untersuchungsbericht der französischen Antiterrorpolizei, der in die Hände der „New York Times“ fiel, sorgt inzwischen für Furore. „Trefft jeden und alles“, laute demnach die Devise eines Masterminds der IS-Terroristen. Im Konzertsaal Bataclan hätten die Attentäter wahllos auf ihre Opfer gefeuert, während einer von ihnen Xylofon gespielt habe. Sie hätten überdies versucht, via Handys der Opfer mit der Polizei in Kontakt zu treten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2016)

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