Der Kampf der Freien Syrischen Armee

Ein Blick auf die weltberühmte Zitadelle im zerstörten Aleppo im März dieses Jahres. Von einer Belagerung der Stadt könne keine Rede sein, versichern die Rebellen.
Ein Blick auf die weltberühmte Zitadelle im zerstörten Aleppo im März dieses Jahres. Von einer Belagerung der Stadt könne keine Rede sein, versichern die Rebellen. (c) iImago/Itar-Tass
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Das Ende des Bürgerkriegs gilt als ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die IS-Miliz. Nun schweigen die Waffen, aber die Führung des Aufstands in Aleppo bereitet sich auf eine Fortsetzung der Schlacht vor. Andere haben die Hoffnung auf einen Sieg längst verloren.

Das Hauptquartier der Freien Syrischen Armee (FSA) in der türkischen Stadt Gaziantep ist so gut versteckt, dass General Adeeb al-Shaliaf Mühe hat, es zu finden. Durch den Hauseingang eines Bürogebäudes geht es eine Treppe hoch. Im dritten Stock macht al-Shaliaf Halt und überlegt, wo er klingeln muss. Eine Tür gleicht der anderen, nirgends hängt ein Klingelschild, auf dem FSA steht. Nach kurzem Zögern drückt er einen Knopf. Die Tür öffnet sich, und General Abdul Jabbar al-Oquaidi steht vor ihm.

Schnell füllt sich das Büro mit dem Gefolge der beiden FSA-Generäle. Al-Oquaidi ist der Vorsitzende des Militärrats der Rebellen in Aleppo, al-Shaliaf befehligt die Freie Polizei in der von der Front zerrissenen zweitgrößten Stadt Syriens. Die Ruhe, mit der die beiden gläubigen Sunniten den Tee trinken, der nun gereicht wird, steht in starkem Kontrast zu den jüngsten Nachrichten.

Zwar hat sich die Lage an der Front nach der Feuerpause entspannt. Russland hat einen Abzug von Kampfflugzeugen angekündigt. Dennoch wurden nur einen Tag später russische Luftangriffe zur Unterstützung einer Offensive des Regimes im zentralsyrischen Palmyra gemeldet. Russland hat einen Tag nach dem Inkrafttreten des Waffenstillstands verkündet, dass dieser nur in sechs Regionen Syriens gelte. Sie umfassen nur einen Bruchteil des syrischen Territoriums. Aleppo, in dem aus russischer Sicht Terroristen kämpfen, gehört nicht dazu. Auch wenn Russland den Abzug eines Teils seiner Truppen ankündigt, heißt das nicht, dass seine Luftwaffe nicht jederzeit wieder die Stadt von seinen nun zwei Stützpunkten in Tartus und Hmeimim aus ins Visier nehmen kann.

Al-Oquaidi und al-Shaliaf haben dennoch die Ruhe weg. Sie sagen, dass sie alles tun werden, damit der Waffenstillstand hält. Sie bezweifeln aber, dass sich die Gegenseite an die Abmachung halten wird. Gleichwohl waren es die Rebellen, die den Waffenstillstand im Vorfeld auf zwei Wochen begrenzt haben. Aus ihrer Sicht ist die Lage bei einer Fortsetzung der Schlacht um Aleppo alles andere als ausweglos. Die Situation in der Stadt sei gut, im Norden von Aleppo sei es schwieriger.

Was an einer Lage gut sein kann, in der die Gegner den Rebellen die einzige Versorgungslinie in Richtung Türkei abgeschnitten haben, während die russische Luftwaffe die Stadt monatelang ins Visier genommen hat, erklärt der Rebellenkommandeur al-Oquaidi mit militärischer Nüchternheit. „Die Russen konnten nicht direkt an den Frontlinien bombardieren, weil sie sonst auch die Regimekämpfer getroffen hätten. Also hat uns das Bombardement nicht so beeinträchtigt“, sagt er. Von einer Belagerung der Rebellen in Aleppo könne keine Rede sein. „Wir werden die Stadt künftig vom Westen aus durch die Provinz Idlib versorgen“, sagt Oquaidi.

Ein Blick auf den Frontverlauf genügt, um zu wissen, dass die Versorgung über Idlib durch Gebiete verlaufen würde, die entweder von der Kurdenmiliz YPG kontrolliert werden oder in denen die PKK-nahen Verbände vorrücken. Kann so ein Plan funktionieren? Die YPG, sagt General Adeeb al-Shaliaf, sei eine russisch-iranische Schöpfung. „Die Amerikaner werden das erkennen und ihre Unterstützung einstellen. Sie wollen ja auch sicher die Türkei nicht als Alliierten verlieren.“

Die FSA verlässt sich im Moment also auf die Annahme, dass ihre Gegner an Stärke verlieren, weil sie Brüche in ihren Allianzen vermutet. Auf die Frage, welche Verbündeten die FSA noch hat, erfolgen vorsichtige Antworten. Mit der von der Saudiarabien angekündigten Militärhilfe rechnen al-Oquaidi und al-Shaliaf so wenig wie mit einer raschen Intervention der Türken. Diese seien noch Freunde, betont al-Shaliaf. Aber das Noch fällt in seiner Formulierung auf. Die Türken machten es den FSA-Kämpfern immer schwerer, aus Syrien heraus- und wieder hineinzukommen. Die Zeiten, in denen die Türkei die Basis, auch das Sanatorium der syrischen Revolutionäre war, scheinen vorbei zu sein.

Nichts schmerzt die Anführer der FSA in Aleppo so wie die Angriffe der Kurdenmiliz YPG im Norden der Metropole. Im vergangenen Jahr schickte al-Oquaidi seine Truppen nach Kobane, um den Kurden in der Schlacht gegen den IS beizustehen. Seine Soldaten starben neben den Kurden in dem verlustreichen Kampf Haus für Haus und Block für Block. „Wie nennt man jemanden, dem du in schweren Zeiten zu Hilfe gekommen bist, und der dir in den Rücken fällt, wenn andere dann über dich herfallen?“, fragt ein Mitarbeiter al-Oquaidis.

Während die FSA die Türken „noch“ als Freunde wahrnimmt, werden die USA noch nicht als Feind gewertet. Aber Verbündete seien sie auch nicht mehr, sagt al-Oquaidi. Vielleicht erklärt sich das Zögern der Amerikaner, die in der jetzigen Lage eher auf die Kurden als auf die FSA setzen, auch damit, dass kaum jemand weiß, wer derzeit in Aleppo zur FSA gehört und wie bedeutend die einst größte bewaffnete Gruppe der syrischen Opposition insgesamt noch ist. Westliche Experten läuten schon seit Jahren das Totenglöckchen für die moderaten Rebellen. Russland argumentiert, dass am Boden in Syrien nur noch Terroristen gegen das Regime kämpfen, die zu vernichten seien.

General al-Oquaidi schüttelt den Kopf. In seiner Stadt gebe es nur 100 Kämpfer der Jabbat al-Nusra, die sich zu al-Qaida bekennt. „Das wird im Westen völlig falsch eingeschätzt. Die FSA ist in Aleppo und auch sonst in Syrien immer noch die größte Gruppe im Widerstand“, sagt er. Auf die Frage, ob sie auch die zahlenmäßig bedeutenden Salafisten der Rebellengruppe Ahrar-al-Sham zur FSA zählen, schweigen General al-Oquaidi und die anderen Vertreter der FSA betreten. „Nun ja, wir sind alle Muslime“, sagt al-Oquaidi, der gerade noch vom zivilen Staat und einer Demokratie für alle Syrer, egal welcher Glaubensrichtung oder Ethnie, gesprochen hat.

In Zukunft Partisanenkrieg?

Die beiden Generäle verleihen im Brustton tiefster Überzeugung ihrer Ansicht Ausdruck, dass der Kampf der FSA weitergehe, egal, wie international isoliert sie dasteht. Al-Oquaidi nennt Vietnam und Afghanistan als Beispiele für die künftige Strategie, sollte es wieder nichts mit einer dauerhaften Feuerpause werden. Das lässt aufhorchen. Der Kommandeur der moderaten Rebellen in Aleppo lobt den Partisanenkrieg aus dem Untergrund heraus gegen einen überlegenen Gegner. Bisher hielten die FSA und andere Rebellengruppen ganze Gebiete unter ihrer Kontrolle.

Außerdem solle Russland dazu provoziert werden, mit Bodentruppen in die Schlacht einzugreifen, sagt er. Ob dieser Plan B einer langjährigen Zermürbung der Russen und des Assad-Regimes durch einen Partisanenkampf aufgehen kann, hänge letztlich davon ab, ob sich in Syrien noch genügend Partisanen finden. Die Massenflucht gerade der Sunniten aus Syrien legt nahe, dass sich diejenigen, die es können, im Moment lieber retten wollen.

Abdul Faisal (Name geändert) sitzt ein paar Kilometer weiter beim Tee und räsoniert über den französischen Widerstand gegen die Nazis. „Die Résistance hat sich auch Freie Armee genannt. Aber die Résistance hatte die Welt auf ihrer Seite.“ Der Widerstand gegen Diktator Bashar al-Assad scheitere dagegen, weil sich die regionalen und internationalen Mächte gegen die Revolution stemmen würden. „Wir sind von aller Welt verlassen.“

Der Ex-Kämpfer ist zweimal desertiert. 2012 schloss sich der Offizier der syrischen Armee in Homs der FSA an. 2015 hat er beschlossen, dass er sein Leben nicht für eine Revolution riskieren will, die aus seiner Sicht zum Scheitern verurteilt ist. Über die damals noch durchlässigere Grenze flüchtete er in die Türkei. Von den Kameraden, die er im Stich gelassen hat, scheinen ihn zumindest einige nicht zu verachten. „Ich halte täglich Kontakt zu einigen Leuten aus meiner Einheit. Viele wollen einfach nur raus. Das ist ein Massaker.“

Angesprochen auf die Zuversicht der Generäle von Aleppo schnaubt er empört. Die FSA habe sich selbst in eine katastrophale Lage manövriert. Ihn wundert es nicht, dass für al-Shaliaf und al-Oquaidi auch die Salafisten der Ahrar al-Sham zur FSA gehören. „Die eine FSA hat es nie gegeben. Das waren immer einzelne Gruppen, die einmal von der einen, einmal von der anderen ausländischen Macht ihre Waffen bekommen haben. Deren Befehle mussten sie dann auch befolgen.“

Faisal gibt den Rebellen einen hässlichen Namen: Söldner. Im Moment folgten sie den Befehlen ihrer ausländischen Herren, die Waffen schweigen zu lassen. Faisal rechnet aber nicht damit, dass die ausländischen Akteure die Konflikte bald beilegen werden, die sie zum Stellvertreterkrieg in Syrien getrieben haben. Dann werden die Kämpfe weitergehen. „Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn wir Hilfe bekommen hätten, eine funktionierende Kommandostruktur aufzubauen“, sagt Abdul Faisal. Die ehrliche Unterstützung vom Westen habe die FSA aber nie erhalten. Der Westen, sagt er, wolle keine Demokratie in Syrien. Sein Traum von der syrischen Résistance ist ausgeträumt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2016)

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