Kriegsverbrecherprozess: Historisches Urteil im Fall Karadžić

Radovan Karadžić (70).
Radovan Karadžić (70).(c) REUTERS (MICHAEL KOOREN)
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Das UN-Kriegsverbrechertribunal verkündet am Donnerstag ein wichtiges Urteil: Radovan Karadžić, dem einstigen Serbenführer, droht wegen Völkermords lebenslange Haftstrafe.

Belgrad/Den Haag. Noch einmal wird der Mann mit der erbleichten Haartolle auf der Anklagebank des UN-Kriegsverbrechertribunals für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) am Donnerstag im Rampenlicht stehen: Alles andere als eine lebenslange Haft für Bosniens früheren Serbenführer Radovan Karadžić wäre bei der Verkündung seines Urteils eine Überraschung.

Mehr als zwei Jahrzehnte liegt der Schrecken des Bosnien-Kriegs (1992–1995) zurück, in dem der heute 70-jährige Psychiater als Präsident der von ihm proklamierten Republika Srpska zumindest in den serbisch kontrollierten Regionen von Bosnien und Herzegowina am Ruder war. Die Ankläger machen ihn nicht nur für den Völkermord von Srebrenica (Juli 1995), sondern auch für die in Ostbosnien und bei der 44-monatigen Belagerung von Sarajewo verübten Kriegsverbrechen verantwortlich. Reue ließ der sich selbst verteidigende Karadžić während des fast fünfjährigen Prozesses (2009–2014) nicht erkennen. Er habe in Srebrenica den Einsatz gegen islamische Kämpfer, aber den Schutz der Zivilisten angeordnet, sagt er. In Sarajewo hätten die muslimischen Bosniaken selbst Angriffe inszeniert, um die Welt gegen die Serben aufzubringen: Statt einer Anklage habe er wegen seiner Bemühungen, den Krieg zu verhindern und die Zahl der Opfer zu vermindern, „eine Auszeichnung verdient“.

Getarnt als Wunderheiler

Dass er sein Urteil erst 24 Jahre nach Beginn des Krieges erhält, hat er sich selbst zuzuschreiben. Obwohl das Tribunal bereits 1996 eine Anklage erhob, wusste er sich mit Unterstützung Belgrads und des serbischen Geheimdienstes 13 Jahre einer Verhaftung zu entziehen. Mit einem Rauschebart verhüllt praktizierte er bis zu seiner Verhaftung 2009 ungestört in Belgrad unter dem Namen Dr. Dragan Dabić als Wunderheiler.

UN-Chef-Ankläger Serge Brammertz räumt ein, dass der Prozess „sehr lang“ gedauert habe, doch für ein Urteil sei es „nie zu spät“. Das Urteil werde „eines der wichtigsten in der Geschichte des Tribunals“ sein: Es beweise, dass man Politiker auch nach vielen Jahren zur Rechenschaft ziehen könne.

In Bosnien und Herzegowina, aber auch in Serbien wird das Urteil mit Spannung erwartet. Milorad Dodik, Präsident des Teilstaats Republika Srpska, nannte es schon vorab „Rache, nicht Gerechtigkeit“: Damit solle den Serben erneut die Alleinschuld am Krieg angelastet werden. Dodik pries Karadžić gar als „Ideal der Freiheit“, der die Dankbarkeit aller patriotischen Serben verdient habe.

Vor der Verkündung wurden in Bosnien und Herzegowina die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. Die Aufmerksamkeit richtet sich besonders auf Siedlungen der nach Kriegsende zurückgekehrten bosniakischen und kroatischen Bevölkerung. Erhöhte Schutzmaßnahmen gibt es auch um die Gedenkstätte für Srebrenica-Opfer in Potočari und um die serbische Botschaft in Sarajewo. In Bosnien und Herzegowina werden nach dem Krieg weiter ca. 7000 Personen vermisst.

Bisher 37 Personen verurteilt

Bisher wurden vor dem ICTY und dem für Kriegsverbrechen zuständigen Gericht Bosnien-Herzegowinas 37 Personen verurteilt, davon 14 in Den Haag und 23 in Sarajevo. Das Haager Gericht, dass 2004 zum ersten Mal das Massaker als Völkermord bezeichnet hatte, verhängte bisher drei lebenslange Haftstrafen, weitere elf Angeklagte wurden zu insgesamt 190 Jahren verurteilt. In Sarajevo wurden 23 Angeklagte zu insgesamt 440 Jahren Haft verurteilt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2016)

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