Juncker: Satire-Streit "entfernt Türkei von EU"

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Deutschlands Regierung hat indes auf "diplomatischem Wege" auf die Pressefreiheit verwiesen. Das soll dann auch reichen.

Im Streit mit der Türkei über eine Satiresendung des deutschen Fernsehsenders NDR pocht die deutsche Regierung auf die Einhaltung der Pressefreiheit. Die Regierung habe ihre Haltung dazu "auf diplomatischem Wege" deutlich gemacht, sagte Sprecherin Christiane Wirtz am Mittwoch in Berlin, nachdem sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan über den Beitrag der Sendung "extra 3" empört hatte.

Berlin sehe "derzeit keinen weiteren Gesprächsbedarf", so Wirtz.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warf der Regierung in Ankara eine Verletzung der Presse- und Meinungsfreiheit vor. "Präsident Juncker hat kein Verständnis dafür, wenn der deutsche Botschafter nur wegen eines satirischen Songs einbestellt wird", sagte eine Sprecherin am Mittwoch in Brüssel. Der Kommissionschef sei der Überzeugung, dass dies die Türkei weiter von der EU entferne. Der Schritt scheine mit der Wahrung der Presse- und Meinungsfreiheit nicht in Einklang zu stehen.

Das rund zweiminütige Video mit dem Titel "Erdowie, Erdowo, Erdogan" erregt seit Tagen die Gemüter in Ankara. In dem Clip werden dem türkischen Staatschef neben der Einschränkung der Pressefreiheit auch die Niederschlagung des Kurdenaufstands und ein hartes Vorgehen gegen Frauen vorgeworfen. Bis Mittwochnachmittag wurde das Video auf YouTube mehr als 2,8 Millionen Mal angeklickt. Mittlerweile ist es dort auch mit türkischen Untertiteln zu sehen.

Aus Empörung über den Beitrag bestellte die türkische Regierung den deutschen Botschafter Martin Erdmann ein. Die deutsche Regierung habe dabei ihre Haltung zur Presse- und Meinungsfreiheit "auf diplomatischem Wege" deutlich gemacht, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Wirtz. "Sendungen wie die beanstandete gehören für Deutschland selbstverständlich zur deutschen Medienlandschaft dazu."

Die deutsche Vize-Außenamtssprecherin Sawsan Chebli sagte dazu, Rechtsstaatlichkeit, die Unabhängigkeit der Justiz sowie die Presse-und Meinungsfreiheit seien "hohe Güter", die geschützt werden müssten. Das hätten Erdmann und Staatssekretär Markus Ederer in Gesprächen mit ihren türkischen Kollegen deutlich gemacht. Zur angeblich von Ankara geforderten Löschung des Beitrags wollte sich Chebli mit Verweis auf die Vertraulichkeit der Gespräche nicht äußern.

Das Video wurde bereits in der "extra 3"-Sendung am 17. März und später dann in der ARD ausgestrahlt. Erdmann wurde vor einer Woche einbestellt, am Dienstag dann ein weiteres Mal. Wirtz sagte nun, die deutsche Regierung sehe "derzeit keinen weiteren Gesprächsbedarf". Befragt wurde sie danach, ob etwa die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ein direktes Gespräch mit Erdogan für notwendig halte.

Kritik hatte es an der deutschen Regierung auch wegen des tagelangen Schweigens zu dem Vorfall gegeben. Die deutsche Grünen-Politikerin Tabea Rößner erklärte, bei einem so "starken diplomatischen Mittel wie der Einbestellung" habe die Regierung "viel zu lange geschwiegen".

Der deutsche CDU-Außenexperte Norbert Röttgen sagte dazu am Mittwoch im ZDF, er sei sich sicher, dass die Regierung "die zweifelsfreie Geltung" von Grundrechten in Deutschland "auf ihren Wegen und ihren Kanälen" zum Ausdruck gebracht habe.

Zugleich sagte er mit Blick auf die Zusammenarbeit der EU mit Ankara in der Flüchtlingsfrage, das Verhalten der Türkei im Satire-Streit entspreche zwar nicht diplomatischen Gepflogenheiten. Es spreche aber "nicht gegen die Kooperation mit der Türkei". Auch Chebli betonte in Berlin, die Türkei bleibe ein "wichtiger Partner", und die Kooperation werde in beiderseitigem Interesse fortgesetzt.

Erdogan hatte in der vergangenen Woche auch wütend auf die Anwesenheit Erdmanns und anderer europäischer Diplomaten, darunter der österreichischen Generalkonsolin in Istanbul, bei dem umstrittenen Prozess gegen den "Cumhuriyet"-Chefredakteur Can Dündar und seinen Kollegen Erdem Gül reagiert. "Dies ist nicht Ihr Land, dies ist die Türkei", empörte er sich. Die türkische Staatsanwaltschaft erwirkte daraufhin für den weiteren Prozess einen Ausschluss der Öffentlichkeit.

Ein EU-Sprecher verteidigte nun die Anwesenheit europäischer Diplomaten bei dem Prozess. Dies täten die Vertreter regelmäßig in ihrer Funktion als Beobachter, "vor allem auch in Ländern, die Beitrittskandidaten sind", hieß es in einer Erklärung. "Freie, unterschiedliche und unabhängige Medien gehören zu den Eckpfeilern einer demokratischen Gesellschaft", erklärte er mit Blick auf den Prozess gegen die Journalisten.

(APA)

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