Wenn die Satire zur Staatsaffäre wird

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.(c) APA/AFP/ADEM ALTAN
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Lang vor Präsident Erdoğan reagierten Staatschefs mit Härte auf Humorattacken. Autokraten und Muslime, oft in Personalunion, kennen wenig Spaß bei Kritik - für sie Gotteslästerung und Majestätsbeleidigung.

Wien. Rudi Carrell konnte von Glück reden, dass er kein Muslim war und er daher nicht – wie Salman Rushdie zwei Jahre später – unter eine Fatwa fiel, unter einen Bann oder gar ein Todesurteil auf Anweisung eines Muftis. Bevor der Iran wegen angeblicher Verunglimpfung des Propheten Mohammed am Valentinstag 1989 eine Fatwa gegen den britisch-indischen Schriftsteller Salman Rushdie erließ und ihn zur Persona non grata erklärte, hatte es sich der niederländische Entertainer in der ARD mit dem Mullah-Regime in Teheran und ihrem obersten Führer verscherzt.

In der „Tagesshow“ hatte Carrell im Februar 1987 einen schlüpfrigen Gag inszeniert. Verschleierte Iranerinnen bekundeten darin Ayatollah Ruhollah Khomeini, dem Revolutionsführer, ihre Gunst, indem sie ihn wie einen Popstar mit BH und Slips bewarfen. Kaum war der Beitrag ausgestrahlt, setzte ein Sturm der Entrüstung ein. Im Außenministerium in Bonn gingen Protestanrufe ein, der iranische Botschafter formulierte eine offizielle Protestnote. Das Oberhaupt des Gottesstaats sei indigniert, die Gefühle des iranischen Volks und aller Muslime seien verletzt.

„Der Protz vom Bosporus“

Daraufhin strich der Iran Flüge nach Deutschland, er schloss Generalkonsulate sowie das Goethe-Institut in Teheran, und er wies zwei deutsche Diplomaten außer Landes. Carrell erhielt Morddrohungen, eine Spezialeinheit bewachte Carrells Domizil nahe Bremen.

Dies erinnert fatal an die Krise, die derzeit zwischen Berlin und Ankara brodelt. Präsident Recep Tayyip Erdogan ließ Martin Erdmann, den deutschen Botschafter in der Türkei, in das Außenministerium zitieren. Überdies urgierte er die Löschung des satirischen Songs „Erdowie, Erdowo, Erdogan“, basierend auf dem Nena-Hit „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“, den die NDR-Satireshow „Extra 3“ produziert hatte. Die Regierung unter Angela Merkel, die in der Flüchtlingskrise einen Deal mit Ankara forciert hat, pocht derweil auf die Pressefreiheit. Im politischen Spektrum Berlins manifestiert sich Kritik an der Selbstherrlichkeit Erdoğans, des „Protzes vom Bosporus“, wie es in dem Schmählied heißt.

Was der Iran in der Rushdie-Affäre und die islamische Welt insgesamt bei den Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“ als Gotteslästerung empfunden hat, in deren Folge sich gewaltvolle Demonstrationen entzündet haben, versteht der türkische Präsident zunehmend als „Majestätsbeleidigung“. Erdoğan verfolgt Kritiker, Oppositionelle und Journalisten mit der Härte des Gesetzes. Neuerdings schäumt er auch gegen westliche Diplomaten.

Autokraten kennen keinen Spaß mit beißender Satire. Als die „TAZ“, das links-alternative Berliner Blatt, 2006 den polnischen Präsidenten Lech Kaczyński unter dem Titel „Schurken, die die Welt beherrschen“ auf ihrer Satireseite als Kartoffel karikierte, brach prompt eine Staatskrise zwischen den Nachbarn aus. Ein Gipfel mit Merkel platzte, die polnische Außenministerin griff zur Nazi-Analogie.

Als zu Weihnachten 2014 die plumpe Hollywood-Satire „The Interview“, in der zwei Journalisten im Auftrag der CIA den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un ermorden, in die Kinos kommen sollte, rief Nordkorea zum Boykott auf – und ordnete einen Cyber-Krieg gegen Hollywood an, im Zuge dessen vertraulich-peinliche E-Mails von Studiobossen auftauchten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2016)

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