Mossul: "Wir hätten das in zwei Tagen erledigt"

(c) APA/AFP/SAFIN HAMED
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Iraks Armee und Kurdenmilizen stoßen auf die nordirakische Metropole Mossul vor, um den IS zu vertreiben. Die Iraker stellten sich dabei extrem schlecht an, tönen die Kurden. Der irakische Befehlshaber sieht das indes ganz anders.

Es ist ein sonniger Frühlingstag, und Kampfflugzeuge nutzen das gute Wetter. Ihr dröhnendes Rauschen hängt in der Luft. In der Ferne steigt dicker schwarzer Rauch in den blauen Himmel.

„Dort haben sie vor einer halben Stunde bombardiert“, sagt Peschmerga-Offizier Sanhan. Er ist der Kommandeur von Sultan Abdullah, dem letzten Außenposten vor dem Gebiet der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) südöstlich von Mossul. Von der Stellung auf einem Hügel hat man einen guten Blick über die Ebene. „Hier, direkt vor uns, in etwa 1500 Metern Entfernung, da sitzt der IS“, erklärt der Kommandeur und deutet nach unten. „Hier links sind noch andere Dörfer unter Kontrolle der Terroristen“, fährt der 56-Jährige fort. „Die wollten die Iraker jetzt erobern, sind aber gescheitert.“ Sanhan und die umstehenden Soldaten grinsen dabei, als wären sie schadenfroh.

Iraks Armee, ein Problemfall. Alle hier haben keine gute Meinung über die irakische Armee, die am 24. März die seit Langem erwartete, aber doch früher als erwartet einsetzende Offensive auf Mossul startete. Die zweitgrößte Stadt Iraks war im Juni 2014 in die Hände des IS gefallen. Die dortigen irakischen Einheiten hatten die Flucht ergriffen, Fahrzeuge, Waffen und Munition zurückgelassen. Mossul wurde Ausgangspunkt von IS-Raubfeldzügen quer durch den Irak. Mit der Rückeroberung der Stadt an der Grenze zu Syrien wollen die irakischen Streitkräfte ihren Fehler ausbügeln.

In Sultan Abdullah glaubt daran keiner der Peschmerga-Soldaten. „Sehen Sie dort, die Dörfer Baker und Kudilla“, hebt Sanhan an. „Wir haben den Irakern geholfen, sie zu erobern, aber sie konnten sie allein nicht verteidigen und sind abgezogen.“ Wir haben den IS erneut aus den Dörfern geworfen, um sie endgültig den Irakern zu übergeben.“ Aber die hatten offenbar kein Interesse mehr: „Seit zehn Tagen sind die Iraker in diesem Gebiet nicht weitergekommen“, sagt Sanhan und behauptet selbstbewusst: „Wir hätten das in zwei Tagen erledigt, wenn wir solche Waffen wie die Iraker hätten.“

Der irakische Oberbefehlshaber der Mossul-Offensive, Nadschim al-Juburi, kennt die Vorwürfe, hat aber eine andere Einschätzung. „Die Presse am Sonntag“ trifft den Generalmajor bei einer Visite an der Front, bei einer Artilleriestellung, wo die Soldaten in Reih und Glied seiner Rede über die Wichtigkeit ihres Auftrags lauschen.

Die Querung des Tigris. Von Stillstand der Offensive oder Scheitern will al-Juburi nichts wissen. „Alles läuft nach Plan“, versichert der Offizier. Er wird umringt von anderen Offizieren, im Hintergrund stehen imposante 150-Millimeter-Kanonen mit einer Reichweite von 25 Kilometern. „Wir haben unser erstes Ziel erfüllt“, meint al-Juburi, „und machen den Job, zu dem wir gekommen sind.“ Der Generalmajor gibt seinem Assistenten ein Zeichen, worauf dieser auf seinem Handy Fotos von toten IS-Kämpfern zeigt. Eine Leiche folgt auf die andere – insgesamt 27. „Das war im Dorf Kharbadan. Wir tun, was wir tun müssen.“

Als nächster Schritt steht die Überquerung des Tigris an. Auf der anderen Seite will die Armee Richtung Norden nach Mossul stoßen. In den nächsten Tagen werde es eine Operation geben, bestätigt der Generalmajor. Details nennt er nicht. Noch sind es der Tigris und mehr als 60 Kilometer Land, die die Armee von Mossul trennen. Als erfahrener Militär wisse er eines: Der Angriff müsse präzise erfolgen. „Wir wollen nicht das Leben unserer Landsleute gefährden.“ Es dürfte sich noch etwa die Hälfte der zuvor zwei Millionen Einwohner in der vom IS beherrschten Stadt aufhalten.

Al-Juburi zeigt sich total optimistisch. Die Armee habe nach den Erfolgen in Ramadi, Samarra und Haditha bewiesen, wie gut sie sei. „Ohne Panzer, Spezialeinheiten und schiitische Hilfstruppen haben wir den IS verjagt.“ Er blickt auf seine Uhr, und es scheint Zeit zu sein. Maskierte Leibwächter führen ihn mit Gewehren im Anschlag zu einem Humvee, einem gepanzerten Geländewagen. Er fährt zurück ins Hauptquartier nach Makhmour. Dort hatte es am Donnerstag einen Selbstmordanschlag der IS-Extremisten gegeben, bei dem drei Polizisten starben.

Sind die Kurden die besseren? Nahe Makhmour ist auch das Black Tiger Camp, das Hauptquartier der Peschmerga. Hier trifft man auf einen leicht entnervten Sirwan Barsani. Der Neffe des kurdischen Präsidenten, Masoud Barsani, ist Chef der kurdischen Truppen. Vom Beginn der Offensive der Iraker habe er zufällig erfahren: „Ich war in Paris, als man mich nachts anrief“, sagt der General, dem die ganze Operation zu lang dauert und zu lasch ausgeführt ist. „Die Iraker planen schlecht und kommen nicht von der Stelle.“ Dadurch steige das Risiko. „Mit Tausenden von neuen Soldaten ist es fast unmöglich, Sicherheit zu garantieren“, meint Barsani weiter. „Beim Selbstmordanschlag vom Donnerstag haben sich die IS-Täter als arabische Armeeangehörige ausgegeben.“

Nur wenn man die Terroristen rasch in die Defensive dränge, könnten Anschläge verhindert werden. „Aber die Iraker sind dazu nicht fähig. Wenn sie so weitermachen, werden sie Mossul nie zurückerobern“, sagt Barsani. „Die Peschmerga haben dem IS an einem Tag 22 Dörfer abgenommen. Die Armee schaffte es nicht einmal in zehn Tagen, richtig von der Stelle zu kommen.“ Und: „Wer ehrlich ist, muss zugeben, der irakische Staat bringt keinerlei Nutzen.“ Solange das „künstliche Gebilde“ weiter bestehe, würden nur noch mehr Menschen im Namen von Religion, Macht- und Politikinteressen geschlachtet. Das Land müsse aufgeteilt werden in drei Teile, für Sunniten, Schiiten und Kurden. Nur dann höre das Blutvergießen auf. Barsani fügt schmunzelnd hinzu: „Ich gehe davon aus, dass ich sie bald zur Verkündigung der Unabhängigkeit Kurdistans empfangen kann.“

Tatsächlich ist der Irak seit dem Sturz des Diktators Saddam Hussein 2003 ein Dauerschlachtfeld, wo oft an einem Tag Hunderte gewaltsam sterben. Eine wichtige politische Wende sollte jüngst wieder einmal ein neues Kabinett bringen. Das hat Premierminister Haidar al-Abadi auf Druck der Massendemonstrationen der Anhänger des radikalen schiitischen Geistlichen Muktada al-Sadr ernannt. Die Regierung Kurdistans wurde dabei nicht konsultiert, was natürlich wie Öl ins Feuer wirkt. Al-Abadi strich auch einen der kurdischen Ministerposten und besetzte die beiden verbliebenen kurdischen Amtsträger selbst. „Das ist ein Affront“, tönet es aus Erbiler Regierungskreisen. Man werde sich nicht länger als Sklave behandeln lassen.

Der Dank bleibt aus. „Wir bekämpfen den IS“, hieß es, „haben 1,8 Millionen Flüchtlinge, darunter 700.000 Araber, aufgenommen, für die wir keinen Cent aus Bagdad bekommen.“ Obendrein gebe es Probleme bei der Bezahlung der Beamtengehälter. Also soll in Kürze ein Schreiben an Premier Abadi gehen. Sollte das nichts bewirken, bliebe nur der Schritt in die Unabhängigkeit.

Ginge es nach Barsani, wäre das längst geschehen. Für ihn scheint ein unabhängiges Kurdistan ausgemacht zu sein. Er würde am liebsten Iraks Armee aus Makhmour zurück nach Bagdad schicken. Aber vielleicht kommt alles anders. Und der Kampf gegen den IS? Da soll Barsani Bagdad Pläne vorgelegt haben. In Kürze soll ja eine große Operation stattfinden. Vielleicht richten sich die irakischen Generäle jetzt nach seinen Ideen, und die Aktion wird ein Erfolg. Dann könnte auch der Endangriff auf Mossul weitergehen.

Fakten

Im Juni 2014 hatten IS-Verbände das militärisch stark garnisonierte nordirakische Mossul im Handstreich genommen, mehrere irakische Divisionen lösten sich auf und flohen unter Zurücklassung vieler Fahrzeuge, Waffen und voller Depots. Erst vorigen Herbst hatte sich Iraks Armee so weit gesammelt, um allmählich und mithilfe alliierter Luftunterstützung eine Operation zum Entsatz der Millionenstadt in die Wege zu leiten. Sie setzte Anfang März ein, vorsichtig und im Schneckentempo. Zuvor war erwartet worden, dass die Iraker erst viel später, vermutlich im Herbst, losschlagen würden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2016)

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