Flüchtlingstragödie: Hunderte Tote im Mittelmeer

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FILES-GREECE-EU-MIGRANTS-LESBOS(c) APA/AFP/ARIS MESSINIS (ARIS MESSINIS)
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Vor Ägyptens Küste sollen 400 Menschen ertrunken sein, die nach Italien gelangen wollten. Der gefährliche Weg über das Mittelmeer könnte erneut zur Hauptflüchtlingsroute werden.

Das Mittelmeer ist offenbar erneut Schauplatz einer Flüchtlingskatastrophe geworden. Etwa 400 Migranten sollen bei der Überfahrt nach Italien ertrunken sein. Mehrere Boote seien vor Ägyptens Küste gekentert, berichtete der britische Sender BBC am Montag. Italiens Präsident, Sergio Mattarella, sprach von einer „neuerlichen Tragödie, in der offenbar mehrere Hundert Menschen gestorben sind“. Ähnlich äußerte sich Italiens Außenminister, Paolo Gentiloni. Ägyptische oder griechische Stellen wollten zunächst ein derart schweres Seeunglück noch nicht offiziell bestätigen. Nach Angaben der BBC, die sich auf lokale Medien und Twitter-Nachrichten von Angehörigen berief, geriet das Flüchtlingsboot in schwere See und kenterte. Nur 29 der Insassen aus Somalia, Eritrea und Äthiopien hätten bisher gerettet werden können, hieß es.

Sollten sich diese schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten, wäre es die schwerste Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer seit dem Untergang eines Fischerbootes südlich von Lampedusa vor genau einem Jahr. Damals dürften 800 Menschen gestorben sein. Nach der Blockade der Balkan-Route rückt nun die zweite große Flüchtlingsroute, der Seeweg von Nordafrika nach Italien, wieder in das internationale Blickfeld.

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Ende der Winterstürme im Mittelmeer

Laut Angaben des UN-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR unternahmen im Jahr 2015 rund 150.000 Menschen die Überfahrt nach Italien, 20.000 weniger als im Jahr zuvor. Denn in der zweiten Hälfte 2015 nahm die Mehrzahl der 1,2 Millionen Flüchtlinge von der Türkei aus den Landweg über Griechenland nach Mitteleuropa.

Das könnte sich in den kommenden Monaten wieder ändern. Die schweren Winterstürme auf dem Mittelmeer gehen zu Ende. Allein in der vergangenen Woche kamen 6000Menschen von Libyen aus mit Schlauchbooten und Fischerkähnen nach Lampedusa. Die meisten wurden unterwegs auf ihrer gefährlichen Reise von Nato-Schiffen an Bord genommen. Entlang der nordafrikanischen Küste konzentriert sich die Schleppertätigkeit vor allem auf Libyen und Ägypten, wo die Menschen in der Regel in der Region um Alexandria auf die Boote gehen. Zunächst fahren sie Hunderte Kilometer gen Westen entlang der Küste. In libyschen Gewässern werden die Flüchtlinge dann auf hoher See in größere Kähne umgeladen, die sie nach Italien bringen sollen.

Von Libyen aus wiederum schieben die Schlepper, die pro Kopf zwischen 800 und 1200 Dollar kassieren, die voll besetzten Schlauchboote mittlerweile nur kurz über die Zwölf-Meilen-Grenze in internationale Gewässer. Dann setzen sie bei den Schiffen der Nato-Operation „Sophia“ einen Notruf ab. Westliche Geheimdienste schätzen, dass momentan 150.000 bis 200.000 Fluchtwillige in Libyen warten, in internen Brüsseler Papieren ist sogar von 500.000 die Rede. Auch in Ägypten kommen jeden Monat Tausende von Menschen illegal über die Grenze, meist über den Sudan, die sich weiter nach Europa durchschlagen wollen.

Am Montag berieten die EU-Außen- und Verteidigungsminister über eine Ausweitung des Marineeinsatzes im Mittelmeer. Zudem soll die neue Einheitsregierung in Libyen unterstützt und ein Waffenembargo gegen andere libysche Milizen durchgesetzt werden.

Unterdessen hat Italien mit der Bergung des Fischerbootes begonnen, das vor einem Jahr südlich von Lampedusa gesunken ist. Im Inneren des Wracks, das in 370 Metern Tiefe liegt, befinden sich immer noch mehrere Hundert Leichen. Deren Bergung und respektvolle Bestattung auf dem Festland hat Italiens Premier, Matteo Renzi, bereits im Sommer angekündigt – nicht nur, weil er darin „eine Frage der Menschlichkeit“ sieht: „Wir ziehen dieses Schiff hoch, und wenn es 15 oder 20 Millionen Euro kostet. Womöglich zahlt das die EU, wenn nicht, dann wir. Ich will, dass die Welt sieht, was passiert ist. Es ist unakzeptabel zu sagen: ,Was das Auge nicht sieht, das tut dem Herzen nicht weh.‘“

Suche nach letzter Ruhestätte

169 Tote – Somalier und Eritreer zumeist – sind gleich nach dem wohl größten Flüchtlingsunglück im Mittelmeer zum Teil mit Tauchrobotern geborgen worden; nur 28 Menschen haben die Katastrophe überlebt. Aus ihren Aussagen schließt die Polizei, dass auf dem 20 Meter langen Boot mehr als 800Personen zusammengepfercht gewesen sein könnten. In den kommenden zehn Tagen soll der versunkene Kutter mit Luftsäcken gehoben und in den sizilianischen Hafen Augusta geschleppt werden. Dort hoffen Gerichtsmediziner, die Leichen identifizieren zu können. Gesucht wird derzeit noch nach einem Ort, der einen Friedhof bereitstellt; gemeldet hat sich ein Dorf aus Kalabrien, das ein Internierungslager aus dem Zweiten Weltkrieg umwidmen will.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2016)

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