Merkel zu diplomatischem Drahtseilakt in der Türkei

Merkel und Davutoglu
Merkel und DavutogluREUTERS
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Die Reise der deutschen Kanzlerin soll das Abkommen mit Ankara zur Flüchtlingsrückführung beflügeln.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ist am Samstag zu Gesprächen über die Flüchtlingskrise ins türkische Gaziantep gereist. Im Mittelpunkt stand das Abkommen mit Ankara zur Abschiebung von Flüchtlingen aus Griechenland in die Türkei. Dessen Umsetzung war zuletzt nur schleppend vorangekommen. Begleitet wurde Merkel von EU-Ratspräsident Donald Tusk und Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans.

Merkel wurde am Flughafen vom türkischen Regierungschef Ahmet Davutoglu empfangen. Gleich im Anschluss wollte die Kanzlerin das Flüchtlingslager Nizip 2 bei Gaziantep an der syrischen Grenze besuchen. Das Lager bietet rund 5.000 Flüchtlinge Platz. Die Reise ist ein diplomatischer Drahtseilakt: Einerseits muss Merkel Ankara beim Flüchtlingsabkommen bei der Stange halten, andererseits werden von ihr klare Worte zu den kontroversen Themen Menschenrechte und Meinungsfreiheit erwartet.

Visafreiheit

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Davutoglu hatten die EU bereits zur Umsetzung der Visafreiheit im Zuge des Flüchtlingsabkommens mit Ankara aufgefordert. Die Abschaffung der Visapflicht für Türken bei Reisen in den Schengen-Raum ist Teil des EU-Türkei-Pakts zur Eindämmung des Flüchtlingsandrangs in die EU. Erdogan hatte zuletzt gewarnt, die Umsetzung des Pakts sei an die Gewährung der Visafreiheit gekoppelt.

Ein Entwurf der EU zu den geplanten Visaregelungen sollte am 4. Mai vorliegen. In mehreren EU-Staaten gibt es aber Bedenken gegen die Reiseerleichterungen. Ungarns Regierungschef Viktor Orban, einer der entschiedensten Kritiker Merkels in der Flüchtlingskrise, sagte der "Wirtschaftswoche" dazu: "Wir sind der Türkei ausgeliefert. So etwas ist nicht gut." Die Sicherheit der Europäischen Union dürfe "sich nicht in der Hand einer Macht außerhalb der EU befinden".

Weitere kontroverse Themen neben der Visa-Frage sind die Presse- und Meinungsfreiheit: Deutschlands Justizminister Heiko Maas forderte Merkel auf, beides bei ihrem Türkei-Besuch offen anzusprechen. Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit seien in einem Rechtsstaat nicht verhandelbar, "und wir treten dafür ein, dass unsere Partner das genauso gewährleisten wie wir", sagte Maas der Zeitung "Die Welt".

Kontroverse

Hintergrund ist die Kontroverse um das Gedicht des Satirikers Jan Böhmermann über Erdogan. Ankara hatte eine Strafverfolgung Böhmermanns wegen Beleidigung ausländischer Staatschefs verlangt. Gegen den Widerstand des Koalitionspartners SPD erteilte Merkel die dazu nötige Ermächtigung. Allerdings sagte sie am Vorabend ihrer Reise, sie "ärgere" sich persönlich darüber, das Gedicht als "bewusst verletzend" bezeichnet zu haben. Dadurch sei der Eindruck entstanden, dass ihre "persönliche Bewertung" dazu etwas zähle.

Auch Libyens Einheitsregierung hofft unterdessen auf ein Flüchtlingsabkommen mit der EU nach dem Vorbild des Türkei-Deals. Vize-Präsident Ahmed Maetig habe den Wunsch geäußert, entsprechende Verhandlungen darüber zu beginnen, erklärte der italienische Innenminister Angelino Alfano, der sich am Freitag mit Maetig getroffen hatte. Auch von Libyen aus machen sich regelmäßig zahlreiche Flüchtlinge auf den Weg nach Europa.

Lob für ihre Flüchtlingspolitik bekam Merkel von US-Präsident Barack Obama. Ihre Haltung sei "mutig" gewesen - "genauso wie die vieler Deutscher", sagte Obama der "Bild"-Zeitung. Merkel habe "wahre politische und moralische Führung" gezeigt.

Islamisten festgenommen

Der Besuch Merkels in der Türkei wurde von scharfen Sicherheitsvorkehrungen begleitet. Sicherheitskräfte nahmen im Zentrum des Landes sechs mutmaßliche Islamisten fest, die einen Anschlag auf Staatsgäste geplant haben sollen.

Bei einem Angriff im Südosten des Landes wurde indes ein türkischer Soldat getötet. Der Mann sei am Samstag in Nusaybin von Mitgliedern einer "separatistischen Terror-Organisation" verletzt worden und dann im Krankenhaus gestorben. In der Stadt Mazidagi wurden Sicherheitskreisen zufolge zudem sechs Menschen bei einem Anschlag auf ein Polizeifahrzeug verletzt. In der Region kommt es seit dem Scheitern einer Waffenruhe zwischen der Regierung und der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK im vergangenen Juli immer wieder zu gewaltsamen Vorfällen.

(APA/AFP/Reuters)

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