Fall Gongadse: Brisantester Mord der Ukraine vor Aufklärung

Georgi Gongadse und Familie.
Georgi Gongadse und Familie.(c) AP
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Tatverdächtiger im Politthriller nach neun Jahren bei Kiew verhaftet. Niemand geringerer als Expräsident Leonid Kutschma wurde für den Mord verantwortlich gemacht.

MOSKAU/KIEW.Wäre der spektakulärste und folgenschwerste Mord in der jüngeren ukrainischen Geschichte nicht derart tragisch, die jüngste Entwicklung in der Causa wäre glatt als schlechter Scherz in einem noch schlechteren Film zu werten. Oleksi Pukatsch, einst hochrangiger Beamter im Innenministeriums, der laut Staatsanwaltschaft das Verbrechen geplant und den Journalisten Georgi Gongadse vor neun Jahren eigenhändig umgebracht haben soll, wurde am Dienstagabend festgenommen, teilte der Geheimdienst SBU mit. Und zwar, weil Pukatsch es satt gehabt habe, sich zu verstecken, wie sein Anwalt, Sergej Osyka, erklärte: „Pukatsch hat ganz einfach beschlossen, sich zu ergeben. In Wirklichkeit hatte ihn auch gar niemand gesucht, und er hatte sich auch gar nicht versteckt.“

Das allein wäre sensationell: Denn offiziell befand sich Pukatsch auf der Flucht und wurde mit internationalem Haftbefehl gesucht. Am Dienstag legte ihn die Polizei im Gebiet Zhitomir nahe Kiew in Fesseln. „Ich habe immer auf euch gewartet“, habe Pukatsch laut Inlandsgeheimdienst gesagt.

Die Ukraine und Gongadses Hinterbliebene warten schon ein Jahrzehnt auf die Aufklärung des Falls. Am 16. September 2000 war der oppositionelle Journalist Gongadse verschwunden. Zwei Monate später wurde die enthauptete Leiche in einem Wald bei Kiew gefunden. Was folgte, war ein Krimi der besonderen Art, gespickt mit politischer Sprengkraft. Niemand geringerer als Expräsident Leonid Kutschma nämlich wurde für den Mord verantwortlich gemacht. Als belastendes Material gelten Tonbandaufzeichnungen, auf denen Kutschma mit Mitarbeitern über die Möglichkeiten spricht, Gongadse „loszuwerden“. Nikolaj Melnitschenko, Ex-Leibgardist bei Kutschma, hatte unter dessen Couch ein Aufnahmegerät platziert.

Melnitschenko erhielt später Asyl in den USA, wo die Mitschnitte auch als Sachbeweise anerkannt wurden. In der Ukraine selbst allerdings kam die Aufklärung nicht vom Fleck. Daran änderte auch nichts, dass die neuen prowestlichen Machthaber nach der Orangen Revolution Aufklärung versprachen. Im Gegenteil: Alsbald kursierte die Einschätzung, dass im Zuge des Machtwechsels Kutschma und seiner Umgebung, aus der viele auch im neuen Establishment ihren Platz fanden, Immunität vor Strafverfolgungen zugesichert worden seien.

Zusammenhang mit Wahlkampf?

Die Causa selbst wurde indes immer verworrener. Eines Freitags Anfang März 2005 sollte Ex-Innenminister Juri Kravtschenko, einer der Hauptverdächtigen, bei der Staatsanwaltschaft aussagen. Am Morgen dieses Tages wurde er auf seiner Datscha tot aufgefunden. Die Ermittlungen liefen auf Selbstmord hinaus, obwohl immer wieder von zwei Kopfeinschüssen die Rede war. In einem Abschiedsbrief machte Kravtschenko Kutschma für den Freitod verantwortlich.

2008 dann wurden drei Expolizisten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Sie waren Untergebene Pukatschs, der am Dienstag auf seinem Bauernhof nahe Kiew festgenommen worden ist.

Er habe den Mord eingestanden und die Auftraggeber genannt, verlautete aus dem Geheimdienst. Gongadses Witwe sprach von einem wichtigen Schritt, befürchtet aber, dass Pukatsch die Schuld auf tote Personen abwälzt, obwohl etwa Melnitschenko immer auch den jetzigen Parlamentspräsidenten Wolodymyr Litwin als Mitschuldigen nannte.

Staatspräsident Viktor Juschtschenko applaudierte der Aktion. Erste Einschätzungen gehen daher in die Richtung, dass Juschtschenko den Befehl zur Ergreifung gegeben hat. Das verbinden Beobachter mit dem Präsidentschaftswahlkampf. Juschtschenko hat miserable Umfragewerte.

Nicht von ungefähr fällt die Festnahme Pukatschs mit dem Besuch des US-Vizepräsidenten Joe Biden zusammen. Laut Melnitschenko haben die US-Geheimdienste mitgeholfen, Pukatsch ins Land zu schaffen. Niemand könne glauben, dass er nahe Kiew in aller Ruhe Schafe gehütet habe.

AUF EINEN BLICK

Georgi Gongadse, Enthüllungsjournalist und Herausgeber der Internetzeitung „Ukrainska Prawda“, wurde am 16.September 2000 in Kiew entführt. Zwei Monate später fand man seine Leiche.

Dem damaligen Präsidenten Leonid Kutschma war Gongadse ein Dorn im Auge. Das belegen Tonbandaufzeichnungen, die ein Leibgardist des Staatschefs anfertigte. Am Dienstag wurde ein Hauptverdächtiger verhaftet: Oleksi Pukatsch, einst hoher Beamter im Innenministerium.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2009)

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