"Moskau benutzt Österreich für seine Interessen"

Vytautas Landsbergis
Vytautas LandsbergisClemens Fabry
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Litauens erster postsowjetischer Präsident Landsbergis unterstellt Österreichs Spitzenpolitikern im Interview einen „Mangel an Würde“. Das Baltikum sieht er in Gefahr.

Die Presse: Es wird im Baltikum viel und oft vor Russland gewarnt. Die These lautet: Nach der Ostukraine könnten auch diese drei Ex-Sowjetrepubliken in Gefahr sein. Aber gibt es für diesen Verdacht irgendwelche handfesten Hinweise?

Vytautas Landsbergis: Man muss das allgemeiner sehen: Russland fordert die Nato und die EU heraus. Es gibt eine europäische Krise mit Russland, die momentan eben in der Ukraine stattfindet. Niemand sollte die Situation im Baltikum daher als selbstverständlich erachten. Im Gegenteil: Aus dem Kreml, auf offizieller Ebene der russischen Politik, wird immer wieder die Nachricht ausgesandt, dass die Situation derzeit nur vorübergehend sei, dass die baltischen Staaten Teil Russlands seien und nur für eine Zeit vom Feind im Westen weggenommen wurden.

Aber gibt es für diese schweren Unterstellungen irgendwelche Hinweise?

Schauen Sie sich an, was im Baltischen Meer passiert, die militärischen Provokationen der Russen richten sich dort gegen ihren „schlimmsten Feind“, nämlich die Amerikaner. Das alles ist riskant, es kann in einem Desaster enden, aber die Schuld würde Russland dafür dem Westen geben: „Warum seid Ihr in unser Meer eingedrungen, ihr könnt doch auf eurer Seite der Welt in Ruhe sein?“ Herr Trump hat ja schon versprochen, dass er als Präsident einen Deal mit Putin machen wird, dass sie sich die Welt aufteilen werden.

Russland sagt, es fühlt sich eingekreist. Jetzt verlegen die USA eine neue Brigade an die Nato-Ostflanke. Ist da nicht längst eine Teufelsspirale in Gang, ein Rüstungswettlauf?

Und wer ist dafür verantwortlich? Die Sowjetunion empfand sich als Festung der Arbeiterschaft, umgeben von kapitalistischen Feinden. Sie rüsteten, rüsteten, rüsteten. Dieselbe Situation haben wir jetzt: Der Feind in Russland ist immer der Nachbar,. Dieses Denken gab es schon in der Zarenzeit: Alexander III. sagte, Russland habe nur zwei Verbündete in der Welt: seine Armee und seine Marine. Wenn Russland also diese historische Vision hat, dass der Nachbar ein Feind ist, dann muss man sich der Nachbar auf einen Angriff vorbereiten.

Sie sprechen über den Zaren und die Sowjetunion. Wir reden über das moderne Russland.

Welches moderne Russland denn? Russland ist nicht in der Lage sich zu ändern, sich mit seinem postkolonialen Status abzufinden und sich in eine moderne Demokratie zu verwandeln. Die Elite vergiftet das ganze Land mit dem Gedanken, dass Russland perfekt sei und alle anderen Feinde. Hier setzt sich die alte Mentalität der Sowjetunion vom „auserwählten Land“ fort.

Das offizielle Österreich sieht das alles etwas anders und versucht, den Gesprächskanal nach Moskau offenzuhalten. Braucht es nicht anstatt verbaler Provokationen auch solche diplomatischen Vorstöße?

Was halten sie denn von Putins Diplomatie in der Ukraine? Er sendet Waffen, Truppen und Söldner. Österreich ist typisch schwach, es ergibt sich durch Appeasement (Anm.: Beschwichtigung). Das ist zwar typisch für viele Europäer, aber vielleicht ist Österreich in diesem Sinn europäischer als andere. Aber ich bin hier zu Gast, ich will also nicht über einen Mangel an Würde sprechen, über einen Mangel an Ehre, über einen Mangel an Selbstachtung.

Es mangelt Österreichs Politikern an Würde, wenn sie sagen, sie wollen den Dialog zu Moskau suchen?

Was für einen Dialog kann es zwischen Österreich und Moskau geben? Moskau ist bereit Österreich zu benutzen, um Europa zu schwächen und um unterbewusste Agenten in Europa zu haben, die Russlands Interessen vertreten. Moskau behandelt also eure Spitzenpolitiker als beste Freunde, aber nur weil es damit rechnet, dass das seinen nationalen Interessen dient. Aber vielleicht gibt es diese traditionelle Illusion westlicher Appeasers, dass sie einen guten Job machen.

Sie vergleichen Österreichs Handeln mit dem Münchner Abkommen von 1938, als Hitler-Deutschland das Sudetenland zugeschlagen wurde?

Es führt zur selben Position. Das Minsk-Abkommen (Anm.: zum Ukraine-Konflikt) war für mich sogar noch schlimmer als München.

Sie haben Russland auch schon mit der nigerianischen Miliz Boko Haram verglichen, einer Terrororganisation, die tausende Menschen abgeschlachtet hat. Als Musikprofessor, der Sie ja auch sind: Haben Sie sich da im Ton vergriffen?

Die Wahrheit ist sehr oft beleidigend. Und deshalb wird die Political Correctness bevorzugt. Was ich meinte: Für Boko Haram ist der Westen das Böse, und beim Kreml verhält es sich genauso.

Es wird einen Tag nach der Krise, und nach den Sanktionen geben. Die Frage ist, ob Ihre Wortwahl nicht verbrannte Erde hinterlässt.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat auf eine Provokation reagiert, indem er den russischen Kampfjet abschießen ließ. Die Russen weinten und schrien danach, aber jetzt sind sie ruhig. Das ist die Sprache, die sie verstehen. Als US-Präsident Barack Obama dagegen seine rote Linie in Syrien gezogen hat und dann nicht einschritt, war er gedemütigt. Amerika hat sein Wort nicht gehalten.

Zur Person

Vytautas Landsbergis (83). Vytautas Landsbergis (83). Der Pianist leitete am 11. März 1990 jene Parlamentssitzung, in der sich Litauen von der UdSSR lossagte. Landsbergis wurde erster Präsident. Gegen Gorbatschow blieb er hart, der Vilniusser Blutsonntag, als die Sowjets 1991 ihre Panzer schickten, prägte ihn. Der Musikwissenschaftter und Ex-EU-Mandatar vertrat stets einen scharfen Anti-Russland-Kurs, auch in Zeiten der Entspannung, was seinem Image in Litauen (vor der Ukraine-Krise) schadete.

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