Die geheimen Budapester Akten

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Ungarns Nationalbankstiftungen und ein regierungsnaher Thinktank müssen ihre Akten offenlegen. Das bietet Einblicke in pikante Geldtransfers und das Denken der Regierung Orbán.

Budapest. Seit Wochen vergeht kaum ein Tag ohne neue Enthüllungen in Ungarn. Auf dem Klageweg wurden Stiftungen der Nationalbank sowie der regierungsnahe Thinktank Századvég gezwungen, ihre Akten offenzulegen. Die Begründung der Gerichte: Es geht um die Verwendung öffentlicher Gelder, und diese muss transparent sein. Die Nationalbank-Stiftungen, vor einigen Jahren erschaffen, stehen wegen umfangreicher Immobilienkäufe und der Anschaffung teurer Kunstwerke in der Kritik. Warum, so fragen Experten, sollte eine Nationalbank solche Aktivitäten entwickeln? Gefragt wird natürlich auch, wer davon profitiert.

Das Transparenz-Gebot für Steuergelder hatte übrigens die Fidesz-Regierung einst selbst eingeführt. Als aber der sozialistische Politiker Bertalan Tóth die Nationalbankstiftungen Pallas Athéné (PA) auf Offenlegung ihrer Verträge verklagte, argumentierte die Regierung plötzlich, Stiftungsgelder seien keine Steuergelder, auch wenn sie vom Steuerzahler kommen. Tóth siegte vor Gericht – doch nun versuchte die Regierung mit einer Änderung des Nationalbankgesetzes, die Geheimhaltung der Daten zu erzwingen. Das Gesetz wurde aber vom normalerweise Fidesztreuen Staatspräsidenten, János Áder, nicht unterzeichnet, sondern an das Verfassungsgericht weitergereicht, und jenes kassierte die Änderung.

Zahlungen an Privatpersonen

Nun sind die Akten einsehbar. Was war nur darin, was verborgen bleiben sollte? Nun, zum einen bezuschusste die Pada, eine der insgesamt sechs PA-Stiftungen (sie heißen alle Pallas Athéné, gefolgt von einem Zusatz) ein Buch über Nationalbankpräsident György Matolcsy – den Mann, der die Idee zur Gründung der Nationalbankstiftungen hatte. Orbáns enger Vertrauter ist zugleich Vorsitzender des Pada-Kuratoriums. Mit anderen Worten, die unter seiner Führung gegründete Stiftung, der er vorsitzt, hat ein nettes Buch über ihn selbst gesponsert.

Eine andere PA-Stiftung, die Padma, förderte eine Fachhochschule in Kecskemét. Die Schule wird geführt von Piroska Ailer, die zufällig auch im Padma-Kuratorium sitzt. Rätselhafterweise wurde ein Vertrag im Wert von 173 Millionen Forint (mehr als 550.000 Euro) mit einer „Privatperson“ geschlossen, für Bemühungen, die Fachhochschule in den Rang einer Universität zu erheben. Laut Gesetz müssen Privatpersonen in den Dossiers nicht identifiziert werden, nur der Zweck der Gelder. Die Akten belegen eine ganze Reihe solcher Zahlungen an Privatpersonen.

Insgesamt fast zwei Millionen Euro bekam das Medienunternehmen New Wave, das ungarischen Medienrecherchen zufolge indirekt mit einem Verwandten Matolcsys verbunden sein soll. Diese Enthüllung hatte Folgen: Das der New Wave gehörende Nachrichtenportal VS.hu verlor umgehend den besseren Teil seiner Redaktion. Ein Dutzend Redakteure kündigten aus Protest über die undurchsichtigen Geldgeschäfte.

Und das paradoxerweise genau zu dem Zeitpunkt, als VS.hu selbst große Enthüllungsgeschichten brachte. Man muss dazu sagen, dass sowohl die Leserschaft als auch die Linie des Portals als eher regierungskritisch gegolten haben, das Geld der Nationalbank also offenbar nicht dazu gedacht war, Linientreue zu sichern. Jedenfalls veröffentliche VS.hu just in jenen Tagen Artikel über die Verträge und Studien des regierungsnahen Thinktanks Századvég – die Offenlegung auch dieser Dokumente war auf dem Klageweg erreicht worden.

Umgerechnet mehr als 13 Millionen Euro hatte die Regierung für Századvég-Aufträge gezahlt. Die VS.hu-Redaktion schrieb, dafür sei zumindest teilweise heiße Luft geliefert worden– nichtssagende Schnellstudien mit vielen Seiten, aber wenig Information. Aus vielen Századvég-Analysen und Umfragen wird aber auch deutlich, wie genau die Regierung auf die öffentliche Meinung achtet. So ließ sie Umfragen zu „heißen“ Themen ihrer Politik anfertigen. Oft mit vernichtendem Ergebnis.

Genaues Studium der Wähler

Beispielsweise wurden die Bürger befragt, ob sie die Neuordnung des Tabakhandels in sogenannten Nationale Tabakläden für sinnvoll hielten. Antwort: Nein. Die Bürger waren auch nicht einverstanden mit dem Stadion-Bauprogramm der Regierung. Vor allem aber dienten die mehr als hundert Umfragen offenbar dazu, Alltagsbedürfnisse der Wähler in Verbindung mit deren Parteipräferenzen zu erforschen. So konnte die Regierung erkennen, dass Wähler der rechten Jobbik und der Sozialisten anders heizten (Heizkessel) als die der Grünen (Fernwärme) oder der Linksliberalen (Gasheizung). Das wiederum gibt der Regierung ein Instrument in die Hand, mit gezielten Programmen bestimmte Wählergruppen anzusprechen.

ORBÁNS RECHTE HAND

György Matolcsy ist oberster Währungshüter Ungarns und ein enger Vertrauter Viktor Orbáns. Rücktrittsaufforderungen an Matolcsy wegen der Nationalbank-Affäre wehrte der Premier ab: „Da müsste schon der Himmel einstürzen.“ Stattdessen ließ Parlamentspräsident Köver sechs Journalisten mit einem Hausverbot belegen. Sie hatten den „Pressekorridor“ verlassen – um Orbán zu der Nationalbank zu befragen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2016)

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