Linker Muslim greift nach dem Bürgermeisteramt in London

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BRITAIN-VOTE-MAYORAPA/AFP/NIKLAS HALLE'N
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London, Schottland, Wales und Nordirland wählen am Donnerstag neue Vertretungen. Labour plagt Antisemitismusskandal.

London. Es ist ein Superwahltag, den kaum jemand super finden wird. In weiten Landesteilen Großbritanniens finden am Donnerstag Lokal- oder Regionalwahlen statt: In Schottland, Wales und Nordirland werden neue Parlamente gewählt und in der Hauptstadt London der Nachfolger von Bürgermeister Boris Johnson bestimmt. Haushoher Favorit ist hier der Labour-Kandidat Sadiq Khan, dessen Slogan „Ein Bürgermeister für alle Londoner“ schon seine Positionierung verrät: Er will jedem etwas versprechen können.

Khan, 45, ist für die City, für die EU-Mitgliedschaft und für einen Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Als Sohn eines pakistanischen Einwanderers ist er in einem Gemeindebau in Süd-London aufgewachsen und wurde nach einem Jusstudium erfolgreicher Menschenrechtsanwalt. Allein mit seiner Geschichte sticht er seinen Gegenkandidaten, den konservativen Zac Goldsmith aus: Der 41-Jährige ist der Sohn eines Multimillionärs, Absolvent der teuersten Eliteschulen und seit seinem Parlamentseinzug 2010 nur durch seinen Widerstand gegen einen weiteren Ausbau des Flughafens Heathrow aufgefallen.

Dass er Khan, einen gläubigen Muslim, in die Nähe gewalttätiger Extremisten stellte, brachte EU-Gegner Goldsmith mehr Kritik als Applaus ein. Dass sich aber Khan trotz einer 20-Prozent-Führung in den Umfragen seines Sieges nicht sicher sein kann, hat er vor allem seiner eigenen Partei zu „verdanken“: Die Labour Party wird von einer Auseinandersetzung über antisemitische Äußerungen erschüttert. Sowohl die Abgeordnete Naz Shah als auch Londons Altbürgermeister Ken Livingstone wurden diese Woche suspendiert. Shah hatte 2014 vorgeschlagen, Israel sollte den USA angeschlossen werden. Livingston nahm die Abgeordnete in Schutz und sagte, auch Hitler sei Zionist gewesen.

Partei-Chef Jeremy Corbyn meinte: „Wir sind in keiner Krise, sondern stärker denn je“, was die Zweifel an ihm nur verstärkte. Wahlforscher John Curtice sagt landesweit für Labour das schlechteste Ergebnis bei Lokal- und Regionalwahlen seit 1982 voraus. Neben Verlusten bei Lokalwahlen in England, wo die populistische United Kingdom Independence Party (UKIP) an den Fersen von Labour klebt, droht der Linkspartei vor allem in Schottland ein Debakel. Unaufhaltsam auf dem Weg zu einer neuen absoluten Mehrheit ist die Scottish National Party (SNP), die im Windschatten der populären Regierungschefin Nicola Sturgeon mit dem simplen Slogan „I'm with Nicola“ wirbt.

Selbst die schlechten Wirtschaftsdaten wegen des Ölpreisverfalls schaden den Nationalisten nicht. Labours Bemühen, sich in ihrem ehemaligen Kernland als Partei der sozialen Gerechtigkeit neu zu erfinden – so fordert die Partei als einzige eine Anhebung des Spitzensteuersatzes – bleiben erfolglos. Der Partei droht am Donnerstag die ultimative Demütigung: ein dritter Platz hinter den Konservativen.

Überschattet von der Wirtschaftslage wird hingegen die Wahl in Wales sein, dem von der aktuellen Stahlkrise am schwersten betroffenen Landesteil. Die in Cardiff regierende Labour Party muss mit Verlusten rechnen, während die Tories bedeutungslos bleiben werden. Nutznießer wird auch hier UKIP sein. „Für sie heißt es, jetzt oder nie“, meint Tony Travers von der London School of Economics. Nicht zuletzt erhoffen sich die EU-Gegner von der Wahl am Donnerstag Rückenwind für die EU-Volksabstimmung am 23. Juni.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2016)

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