Özdemir: „Grenzkontrollen halten rechts außen nicht auf“

Der Vorsitzende der Partei Buendnis90/Die Gruenen am 11.10.2011 in der Parteizentrale in Berlin, Aufnahmen in seinem Buero und im Innenhof der ParteizentraleCem Oezdemir, Portrait, Politik
Der Vorsitzende der Partei Buendnis90/Die Gruenen am 11.10.2011 in der Parteizentrale in Berlin, Aufnahmen in seinem Buero und im Innenhof der ParteizentraleCem Oezdemir, Portrait, PolitikDominik Butzmann / laif / picturedesk.com
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Cem Özdemir, Parteichef der deutschen Grünen, hält den österreichischen Weg in der Flüchtlingspolitik für falsch – sowohl innen- als auch außenpolitisch. Einen möglichen Bundespräsidenten Norbert Hofer sieht er skeptisch.

Die Presse: Sie haben rot-grün in Deutschland als unwahrscheinlich bezeichnet – ist das ein Schritt hin zu schwarz-grün?

Cem Özdemir: Da habe ich mir nur die gemeinsamen Umfragewerte angeschaut. Mein Ziel ist, für die Grünen möglichst viel rauszuholen. Wir müssen auf der Basis starker eigener Wahlergebnisse schauen, mit wem wir grüne Inhalte am besten umsetzen können. Was wir 2017 machen, entscheiden die Wähler, nicht die Debatten davor.

Koalitionen gehen nur mit einem Grundkonsens. Noch 2010 hat Angela Merkel schwarz-grün als Hirngespinst bezeichnet.

Und heute regieren CDU und Grüne erfolgreich in Hessen, und in Baden-Württemberg stehen wir kurz vor Abschluss einer grün-schwarzen Landesregierung. Und dass eine CDU-geführte Regierung die Wehrpflicht abschafft und den Atomausstieg vorantreibt, zeigt, dass die CDU, was grüne Positionen angeht, doch recht pragmatisch ist.

Auch die Grünen sind pragmatischer geworden, etwa in der Flüchtlingspolitik.

Auf dem Weg zum Idealen ist es manchmal hilfreich, durch Kompromisse, auch wenn sie schwierig sind, dem Ziel ein Schritt näher zu kommen. Die Präsidentschaftswahl in Österreich hat aber auch gezeigt, dass man mit nationalen Obergrenzen und Grenzkontrollen rechts außen nicht klein halten kann. Da finde ich unseren Weg erfolgreicher, dass wir Europa beisammenhalten und uns nicht hinter dem Nationalstaat verschanzen.

Aber Deutschland hat doch massiv von Österreichs Politik profitiert, weil das Flüchtlingsproblem wieder weiter weg ist.

Gelöst ist gar nichts. Menschen werden sich weiter auf den Weg machen, solange wir uns nicht damit befassen, warum sie ihr Land verlassen. Neben Krieg, Not und Unterdrückung kommt auch der Klimawandel hinzu, der Ernteausfälle und Dürren mit sich bringt. Da müssen wir gegensteuern. Die Globalisierung lässt sich an der österreichischen Grenze nicht aufhalten.

Eine Kanzlerin, die Flüchtlinge begrüßt, hat eine Sogwirkung auf die Menschen. Sollte man unfreundlicher sein?

Nur schlichte Gemüter glauben, dass das etwas bringt. Wir reden hier von Menschen in Not. Der erfolgversprechendere Weg ist, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Wenn wir beispielsweise aufhören, in Westafrika die Meere leerzufischen, dann können die Fischer dort von ihrer Arbeit leben und müssten sich nicht auf den Weg zu uns machen.

Das wird aber kurzfristig noch keine Lösung sein.

Wir müssen schauen, dass wir die Flüchtlinge, die hier sind, schnell integrieren. Bei der Gastarbeitergeneration hat sich die schnelle Integration in den Arbeitsmarkt bewährt. Ein Versäumnis war aber, nicht genug auf die Sprache zu setzen.

Wie viele Flüchtlinge verträgt Deutschland pro Jahr?

Ich halte nichts von einer Zahlendiskussion. Wir müssen anders herum dafür sorgen, dass möglichst wenige ihre Heimat verlassen müssen.

Verstehen Sie, dass die ansässige Bevölkerung das Gefühl hat, gegenüber den Flüchtlingen benachteiligt zu werden?

Wir dürfen niemanden gegeneinander ausspielen. Wir sollten vielmehr die Anwesenheit der Flüchtlinge nützen, Dinge, die wir sowieso machen müssen, endlich in Angriff zu nehmen. Wir brauchen etwa Ganztagesschulen mit ausreichend Personal, die den Namen auch verdienen. Wir sollten aber auch dazu sagen, das gibt es nicht zum Nulltarif.

Sollte man sich dafür weiter verschulden?

Mir fällt das Zitat ein: Wer glaubt, dass Bildung teuer ist, kann es ja gern mit Dummheit probieren. Ähnlich ist es mit Integration. Am Anfang kostet es, aber wenn man da investiert, spart man nachher viel ein. Wenn man es klug macht, profitieren wir auch wirtschaftlich von der aktuellen Einwanderung, weil wir ja einen Mangel an Arbeitskräften haben.

Was macht man mit denen, die es nicht schaffen, am Arbeitsmarkt zu landen oder die Sprache zu lernen?

Ich höre so gut wie nie, dass die Leute keine Sprachkurse wollen, sondern dass sie nicht genug angeboten bekommen. Natürlich gibt es bei einer Million auch welche, die überfordert sein werden. Aber unter 80 Millionen Deutschen sind auch nicht nur Einsteins.

Und sollte man straffällig gewordene Ausländer abschieben?

Viel in dieser Debatte hat mit Symbolpolitik zu tun. Wo es rechtlich angezeigt, verhältnismäßig und ethisch vertretbar ist, passiert das auch.

Nach Österreich: Alexander Van der Bellen posiert auf Plakaten mit dem Begriff Heimat. Klassisch grün ist das nicht.

Es gibt kein Monopol auf Heimat von rechts. Heimat macht sich auch an der Frage fest: Wer macht Nationalparks, wer sorgt dafür, dass Artenvielfalt erhalten wird, und wo man sich zuhause fühlt. Das ist es doch, was unseren Reichtum ausmacht.

Die Grünen, die Heimatpartei?

Da hätte ich kein Problem damit. Aber nicht im abwehrenden Sinn, sondern damit, dass jemand, der Cem, Shirin oder Abdoul heißt, das Gefühl hat, dass er dazugehört.

Und was passiert, wenn Norbert Hofer Bundespräsident wird in Österreich?

Ich hoffe sehr, dass sich die demokratischen Parteien zusammenraufen und geschlossen hinter Alexander Van der Bellen stellen. Von einem Sieg Norbert Hofers profitiert keiner, weder Österreich noch Europa.

ZUR PERSON

Cem Özdemir (geb. 1965) ist seit November 2008 Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen in Deutschland. 1994 wurde er (mit Leyla Onur, SPD) erster Bundestagsabgeordneter mit Eltern aus der Türkei. Der gebürtige Schwabe gehört innerhalb der deutschen Grünen zur Realo-Fraktion. Kürzlich gab er bekannt, dass er sich um die Spitzenkandidatur der Grünen für die Bundestagswahl 2017 bewirbt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2016)

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