Türkei: Im Verfassungsauschuss flogen die Fäuste

Beim Verfassungsausschuss im türksichen Parlament brach eine Rauferei aus.
Beim Verfassungsausschuss im türksichen Parlament brach eine Rauferei aus.(c) Youtube Screenshot / Euronews
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Vor geplanten Anklagen gegen Kurdenpolitiker zeigen Abgeordnete im türischen Parlament einmal mehr, wie emotional die Kurdendebatte im Land geführt wird.

Es ist nicht das erste Mal, dass es im türkischen Parlament etwas körperlicher zugeht. Doch in letzter Zeit häufen sich die Debatten, in denen eher Fäuste als die Argumente dominieren. Seit der vergangenen Woche sind die Abgeordneten bereits drei Mal im Hohen Haus von Ankara aufeinander losgegangen. Die Spannungen spiegeln die Eskalation der Gewalt im Kurdenkonflikt.

Anlass für die Schlägereien sind Pläne der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP, die Immunität aller Abgeordneten aufheben zu lassen, um Politiker der legalen Kurdenpartei HDP vor Gericht stellen zu können. Die AKP-Regierung und Präsident Recep Tayyip Erdogan betrachten die HDP als politischen Arm der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die sich seit dem vergangenen Sommer wieder schwere Gefechte mit den türkischen Sicherheitskräften liefert.

Rauferei im Verfassungsausschuss

Beim jüngsten Schlagabtausch im Verfassungsausschuss des Parlaments am Montagabend traten und schlugen AKP- und HDP-Politiker aufeinander ein, Wasserflaschen wurden als Geschosse durch den Sitzungssaal geschleudert. Einem führenden HDP-Politiker wurde die Schulter ausgekugelt. Die Rauferei endete damit, dass die HDP-Mitglieder abzogen - dabei ließen sie in Sprechchören den inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan hochleben.

"Niemand sollte sich Hoffnung machen, mit dieser Art von Benehmen die Regierung zum Umdenken bewegen zu können", sagte Regierungssprecher Numan Kurtulmus, der die Schuld ganz auf der Seite der HDP sieht. Kurdenvertreter machten dagegen die Regierung verantwortlich. "Es geht nicht um ein Gesetz zur Aufhebung der Immunität, sondern um die Liquidierung der HDP", sagte der Ko-Vorsitzende der Kurdenpartei, Selahattin Demirtas.

Nach den Zusammenstößen am Montagabend nickte der Verfassungsausschuss die Gesetzesvorlage ab, die jetzt im Plenum beraten werden soll. Die AKP steht bei dem Vorhaben nicht allein. Die Säkularisten-Partei CHP und die Nationalisten von der MHP unterstützen das Projekt zur Aufhebung der Immunitäten.

Kurden könnten sich von Türkei abwenden

Sollten HDP-Politiker vor Gericht gestellt und verurteilt werden, könnten ihre Mandate in Nachwahlen neu verteilt werden. HDP-Chef Demirtas drohte am Dienstag indirekt damit, dass sich die Kurden dann endgültig von Ankara abwenden könnten: "Das Volk, nicht die Parteien, wählt das Parlament", sagte er. "Wenn das Volk will, bildet es mehr als ein Parlament."

Es ist nicht das erste Mal, dass türkische Parteien versuchen, kurdische Abgeordnete aus dem Parlament zu drängen. In den frühen 1990er-Jahren verloren die Abgeordneten der damaligen Kurdenpartei ihre Immunitäten, unter anderem weil die Politikerin Leyla Zana damals bei der Vereidigung Kurdisch gesprochen hatte. Damals wie heute ging es um den Vorwurf, die gewählten Politiker unterstützten die PKK.

Von einer friedlichen Lösung keine Rede mehr

Noch vor einem Jahr hatten AKP-Politiker und HDP-Abgeordnete über eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts verhandelt. Seit Juli wird jedoch vor allem im Südosten der Türkei wieder gekämpft, eine Rückkehr an den Verhandlungstisch schließt Erdogan aus.

Der Präsident und die AKP sind nicht die einzigen Akteure, die Druck auf die HDP machen. Auch die Rebellen von der PKK reagierten im vergangenen Jahr verärgert auf die politischen Erfolge der gemäßigten Kurdenpartei. Appelle von HDP-Politikern an die PKK, nach dem neuen Ausbruch der Kämpfe im Sommer zur vorher geltenden Feuerpause zurückzukehren, wurden zurückgewiesen. Die HDP habe kein Recht, Forderungen zu stellen, sagte PKK-Führungsmitglied Duran Kalkan damals.

Während sich die HDP in Ankara gegen die Immunitätsaufhebung wehrt, gehen die Gefechte zwischen der PKK und den Sicherheitskräften in Südostanatolien weiter. Die Türkei gehe unsicheren Zeiten entgegen, schrieb der regierungskritische Journalist Yalcin Dogan in einem Beitrag für die Internetplattform T24: "Ich befürchte, es könnte eine sehr gefährliche Reise voller Tränen und ohne Wiederkehr werden."

(APA/dpa/AFP)

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